Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
Fluch Erfolg, wandte sich die Familie des Verhexten in vielen Fällen Hilfe suchend an einen der älteren Fluchwirkenden, damit der einem zeigte, wo der Hammer hing. Dann hatte man ein echtes Problem. Bevor man jemanden ohne Weiteres verhexen konnte, musste man sich im Edge jahrelang gut aufgeführt und Respekt erworben haben, andernfalls würde man es schnell und brutal heimgezahlt bekommen.
Rose hatte schon mit sechs, wie jeder hier, zufällig gelernt, wie man jemanden verhexte. Damals war sie mit ihrer Familie bei einem Grillfest gewesen, und ein Mädchen namens Tina Watty nahm ihr ihre Puppe weg und warf sie auf den Grill. In diesem Moment wünschte sich Rose, dass Tina sämtliche Haare ausfallen würden, und kaum hatte sie ihren Wunsch ausgesprochen, da zeigten ihre Zauberkräfte Wirkung und sie mussten vorzeitig wieder nach Hause gehen. Als sie Tina das nächste Mal gesehen hatte, waren ihre langen, blonden Haare verschwunden und ihr Schädel von kurzen Stoppeln bedeckt gewesen.
Jeder hatte einen Fluch frei, nämlich den ersten, weil man nur so erfuhr, ob man die Fähigkeit dazu besaß. Danach musste man lernen, sich zu beherrschen, oder man handelte sich einen Riesenhaufen Ärger ein. Rose hatte Glück, denn kaum jemand in East Laporte verstand sich so gut aufs Verhexen wie ihre Großmutter, daher bekam sie eine bessere Ausbildung in der Kunst des Fluchwirkens, als sie eigentlich gebraucht hätte. Und einen verantwortungsvollen Umgang mit Flüchen lernte der am besten, der die Wirkung am eigenen Leib durchmachte. Großmama kannte jede Menge Flüche, die Rose unbedingt lernen wollte. Den mit den Gummibeinen hatte sie schon mit zwölf ausprobiert.
Der Gummibeinfluch war äußerst schmerzhaft. Das Opfer hatte dabei das Gefühl, seine Beine würden zerfließen wie Fonduekäse. Und mit dem ersten Schritt lag es zwangsläufig auf der Nase. Dabei hinterließ diese Hexerei keinerlei bleibende Schäden und verlor nach etwa einer halben Stunde ihre Wirkung, doch bis dahin hatte das Opfer womöglich längst den Verstand verloren.
Und das hatte Großmama mit Declan gemacht. Ein Wunder, dass er sie darauf nicht allesamt massakriert hatte.
»Warum musstest du ihn verhexen?«
Großmama zuckte die Achseln. »Weil er mich erschreckt hat.«
»Und was dann?«
»Dein Blaublütiger hat bloß ein bisschen geknurrt und sich geschüttelt. Ein Kraftakt, und alles war wieder wie vorher. Dann wollte ich ihm die Flasche Olivenöl über den Schädel ziehen, habe aber danebengehauen. Er drehte sich weg und nahm mir die Flasche ab. Dann hat er mir in lupenreinem Französisch erklärt, dass er es zwar sehr zu schätzen wisse, wie sehr ich mich für meine Familie einsetzte, dass ich es aber schrecklich bereuen würde, wenn ich ihn noch einmal zu schlagen versuchte.«
»Leute einschüchtern kann er gut«, bemerkte Rose.
Großmama nickte mit großen Augen. »Oh, ich habe ihm auch geglaubt. Abgesehen davon, hatte mich der magische Rückstoß erwischt und ich musste mich hinsetzen. Weißt du eigentlich, womit ich mir meinen Lebensunterhalt verdient habe, bevor dieser Spitzbube, dein Großvater, mit seinem Kahn und einem tollkühnen Grinsen im Gesicht hier auflief?«
»Nein.«
»Unser Dorf stellte Lakaien für den Comte d’Artois des Gallischen Königreichs im Weird. Besonders meine Familie stand seit Jahren in seinen Diensten. Glaub mir, ich erkenne blaues Blut, wenn ich welches sehe. Ich weiß nicht, was Declan dir erzählt hat, aber dieser Bursche hat Generationen blaublütiger Vorfahren im Rücken.«
Rose winkte ab. »Ich glaub nicht, dass er in der Hierarchie der Peers allzu weit oben steht. Manchmal vergisst er nämlich, sich wie ein Blaublütiger aufzuführen, dann benimmt er sich fast normal. Außerdem habe ich in der Enzyklopädie nachgeschlagen, und da steht, dass Earl Camarine bloß ein Ehrentitel ist, der ihm wahrscheinlich für seinen Militärdienst in der Roten Legion verliehen wurde.«
Großmamas Mund schloss sich hörbar.
»Was habe ich jetzt schon wieder gesagt?«
»Nichts«, antwortete Großmama. »Gar nichts. Du hast recht. Jack ist bei ihm sicher in guten Händen. Trotzdem, solltest du den beiden nicht besser mal auf den Zahn fühlen?«
Rose warf einen Blick auf die Wanduhr. Halb eins. Sie war spät dran, aber der Themenwechsel kam ihr viel zu abrupt. »Irgendetwas verschweigst du mir doch.«
»Liebes, ich könnte die Küche mit Sachen vollstellen, die ich dir verschweige.«
Ein ganz spezieller Glanz in
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