Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
Großmamas Augen verriet Rose, dass Widerworte keinen Zweck haben würden. Also schüttelte Rose den Kopf und ging, um nach Georgie zu sehen. Sie fand ihn auf dem Sofa zusammengerollt, schlafend.
»Lass ihn lieber bei mir«, sagte Großmama Éléonore. »Er braucht die Ruhe. Wenn er aufwacht, bringe ich ihn zu dir.«
Rose seufzte, umarmte sie und ging.
Sie trat die Stufen hinab, überquerte den Rasen und lief zu ihrem Truck. Gefahrensucherin. So hatte sie sich selbst noch nie gesehen. Ja, sicher, sie hatte das Blitzeschleudern bis zur Besessenheit geübt, aber das lag doch nur daran, dass sie sonst so wenig zu tun gehabt hatte.
Jetzt musste sie erst mal nach Hause fahren, sich ausführlich mit Jack unterhalten, damit er zukünftig keine ausgedehnten Landpartien mit Feinden der Familie mehr unternahm, und Declan verklickern … Was zum Teufel wollte sie Declan denn erklären? Dass sie sich in den Augenblicken, in denen er vergaß, ein Blaublütiger zu sein, zu ihm hingezogen fühlte wie eine dumme kleine Motte zu einem Ungeziefer verbrutzelnden Kerzenleuchter?
Rose fuhr nach Hause. Declan und Jack waren noch nicht zurück. Sie trug ihre Einkäufe rein und teilte alles zwischen Gefriertruhe, Kühlschrank und Vorratskammer auf. Eine Tüte Äpfel und eine Plastikschachtel Erdbeeren fehlten, sicher lag beides noch im Truck. Sie ging hinaus.
Als Rose sich dem Truck näherte, knirschte Glas unter ihren Sohlen. Glitzernde Splitter einer geborstenen Windschutzscheibe lagen auf dem Fahrweg und legten eine Leuchtspur nach links. Mit einem kurzen Blick auf den Truck überzeugte sie sich, dass ihre Windschutzscheibe noch intakt war. Rose ging in die Hocke und untersuchte die Glasscherben. Komisch. Das Glas lag nicht so wie nach einem Zusammenstoß über die Fahrbahn verteilt. Es sah eher so aus, als hätte jemand eine Windschutzscheibe eingeschlagen und die Glasscherben anschließend sorgfältig so ausgelegt, dass sie darauf aufmerksam werden musste. Und sie hätte schwören können, dass es, als sie gerade nach Hause gekommen war, noch nicht so ausgesehen hatte.
Die glitzernde Spur führte zu einer alten Kiefer. Rose runzelte die Stirn, sah hoch und entdeckte ein Nummerschild, das an einer Kordel an einem Ast baumelte: BOSSMAN . Emersons Nummernschild. Was um alles in der Welt …
Sie sah sich um. Ganz links neben dem Gebüsch lag ein rotes Metallstück am Straßenrand. Sie lief hin. Das Metall entpuppte sich als Bestandteil einer roten Motorhaube in dem Tomatenrot von Emersons SUV , dessen Ränder von einem Schneidbrenner dunkel verfärbt waren.
Ein Stück weiter lag, direkt vor der Kurve, noch ein Metallstück. Rose ging daran vorbei, bog um die Kurve und sah etwa hundert Meter weiter den nächsten roten Fleck. Eine Spur aus Autoteilen führte vom Haus weg Richtung Broken. Na schön. Sie lief zu ihrem Truck zurück und ließ den Motor an. Sie musste herausfinden, wohin die Autoteile sie führen würden.
15
Éléonore erhob sich vom Küchentisch, auf dem ein Stückchen Bestie in einem Einmachglas mit Formaldehyd schwamm. Sie hatte den verwesenden Kadaver verbuddelt, als sie den Gestank nicht mehr aushalten konnte.
»Erzähl mir was«, flüsterte sie. Sie hatte alles versucht und Adele Moore, Lee Stearns und Jeremiah hinzugezogen. Die hatten ihre Wälzer und Tagebücher durchgeblättert, ihre Zaubersprüche aufgesagt und ihre Kräuter verbrannt und sich sogar auf den Weg gemacht, um mit dem zu sprechen, was von Elsie noch übrig war. Aber alle Anstrengungen waren umsonst gewesen. Anscheinend versagte diesmal die geballte Weisheit von East Laporte.
Aber was diese Bestie auch sein und woher sie kommen mochte – böse war sie auf jeden Fall. In diesem Punkt bestand Einigkeit.
Die Gerüchteküche brodelte: Im Norden waren Malachai Radish und seine Familie aus ihrem Wohnwagen verschwunden, ihr Heim war auf den Kopf gestellt worden, die Tür hatte offen gestanden. Malachai zählte noch nie zu den hellsten Lichtern im Sprengel, daher konnte es gut möglich sein, dass er endgültig durchgedreht war und sich mit Weib und Kindern vom Acker gemacht hatte, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Aber Éléonore hegte ihre Zweifel. Adele hatte Gerüchte über Bluthunde gehört, die in der Nacht untergetaucht waren. Und Dena Vaughn hatte massakriertes Viehzeug gefunden. Irgendetwas war über ihre kleine Herde Zwergziegen hergefallen und hatte die Hügel, auf denen die Tiere normalerweise grasten, mit deren Innereien
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