Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
sorgfältig abwägen. Denn alles, was sie George jetzt sagte, würde auch Jack bald erfahren. Sie wollte ihren Glauben an den einzigen coolen Typen, den sie kannten, nicht erschüttern, und sie wollte auf keinen Fall, dass es am Ende hieß, »die große, fiese Rose hat den supercoolen Declan vergrault«. Andererseits hatte sie auch keine Lust, den beiden etwas vorzumachen.
»Es sind auch früher schon Leute aus dem Weird bei uns aufgetaucht, die mich mitnehmen wollten«, sagte sie, wobei sie ihre Worte abwägte, als wolle sie mit ihnen über ein Hochseil balancieren und ein einziges falsches Wort könne zum Absturz führen. »Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht, weil du damals noch zu klein warst.«
»Leute wie Declan?«
Sie bezweifelte, dass es einen zweiten Declan gab. Mehr als einen von der Sorte würde die Welt nicht verkraften. »Nicht ganz. Ein paar waren Lakaien von Adligen und einer ein Blaublütiger von niederem Rang.«
»Was war dann?«
»Na ja, der erste Lakai wollte Dad und Großvater mit Geschenken bestechen. Und als er kapierte, dass er bloß seine Zeit verschwendete, steckte er unser Haus in Brand. Er dachte wohl, wenn wir nichts mehr hätten, würde ich mit ihm gehen. Darum liegen die Wehrsteine jetzt so weit vom Haus weg, und mein Schlafzimmer hat andere Wände. Der zweite Lakai kam mit großem Gefolge an, mit dem er unser Haus abzuriegeln versuchte. Dad schoss ihm in den Kopf und sie zogen wieder ab.«
»Was war mit dem Blaublütigen?«
Rose seufzte. »Oh, das war ein ganz besonderer Wurm. Sehr lieb und nett, sah gut aus. Anscheinend wollte er mir den Hof machen. Er verbeugte sich vor mir, sagte ein paar Gedichte auf und erklärte, wie schön ich doch sei. Und fast hätte ich ihm geglaubt. Aber dann kam die Karawane aus dem Weird in die Stadt, und eine der Händlerinnen, Yanice – an die erinnerst du dich doch noch, oder?«
»Die mit dem Schleier«, nickte Georgie.
»Ja. Yanice hat ihn wiedererkannt. Er war Sklavenhändler und ein gesuchter Verbrecher, und wenn ich mit ihm gegangen wäre, hätte er mich wie eine Milchkuh versteigert. Ich hätte keine Wahl gehabt und wäre gezwungen gewesen, mit dem Kerl zu gehen, der mich gekauft hatte.« Was sie in Wahrheit niemals getan hätte. Eher hätte sie sich gewehrt, bis man sie umbrachte, aber es war ja nicht nötig, George Angst einzujagen.
»Declan ist nicht so.«
»Wir haben keine Ahnung, wie Declan wirklich ist. Wir können uns nur auf das verlassen, was Declan sagt und tut. Mir ist klar, dass er cool wirkt.« Sie verstummte, als ihr aufging, wie sehr sie sich wünschte, dass er ein »cooler Typ« war. Er schien … Gott, es wäre eine Schande, wenn er sich am Ende als Drecksack entpuppen würde. Sie spürte Wärme unter seiner Überheblichkeit und, noch wichtiger, Integrität. Da war sie sich sehr sicher. Declan handelte nach moralischen Grundsätzen. Sie vermutete, er würde gewisse Grenzen nicht überschreiten, wusste allerdings nicht, wo genau diese Grenzen verliefen.
»Wir wissen nicht, wie er sich verhält, wenn ich mich bereit erkläre, mit ihm zu gehen«, fuhr sie fort. »Was, wenn ich ihm folge, und ihr müsst hierbleiben? Er hat Jack zwar gesagt, dass er uns alle mitnehmen würde, aber nichts auf der Welt kann ihn dazu zwingen, Wort zu halten. Und was, wenn er uns mitnimmt und euch dann zu Dienern macht oder in irgendeinem Waisenhaus abliefert?«
Oder die beiden umbringt und ihre Leichen am Wegesrand liegen lässt. Sein Versprechen, ihnen nichts zu tun, verfiel, sobald er die Prüfungen bestanden hatte. Bestimmt würde er so etwas nicht tun. Nicht Declan. Aber garantieren konnte ihr das niemand.
»Abgesehen davon muss ich Declan heiraten, wenn ich mit ihm gehe. Obwohl Declan mich nicht liebt.«
»Wieso nicht?«, fragte Georgie.
»Na, weil ich keine Dame bin. Ich habe keine guten Manieren, bin nicht gebildet und auch nicht lieb und nett. Ich sage, was ich denke, und artig bin ich auch nicht unbedingt. Wahrscheinlich denkt er, er kann mich dazu zwingen, liebenswürdig zu sein, aber egal, was für Klamotten ich trage und was man mit meinen Haaren anstellt, ich bin immer noch ich.« Ungehobelt, vulgär, indiskutabel.
Rose seufzte. »Schau, Declan ist daran gewöhnt, dass die Leute seinen Anweisungen folgen. Wenn er im Weird etwas befiehlt, überschlagen sich alle, um seinen Willen in die Tat umzusetzen. So bin ich nicht drauf, deshalb streiten wir uns so oft. Wir würden uns gegenseitig in den Wahnsinn treiben, und wenn es
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