Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
bereits. Ed Yonker gab es schon lange nicht mehr.
Jack wankte und setzte sich hin, sein blutroter Arm war erlahmt. George stand auf, ging mit steifen Beinen zu ihm und nahm ihn in den Arm. Jack schaute seinem Bruder ins Gesicht, warf einen Blick auf den zerfetzten Leichnam vor ihm und begann zu weinen.
In dem verwaisten Camp stießen sie auf einen Chevy-Lieferwagen. Kaldar fuhr. Gaston saß neben ihm auf dem Beifahrersitz. Zuvor hatte Kaldar Gastons ausgekugelte Schulter wieder eingerenkt, sodass der Junge Karmashs Kopf jetzt mit beiden Händen festhalten konnte. Audrey wiegte Jack. Er hatte zu weinen aufgehört, sah aber immer noch aus wie der Tod.
Sie waren voller Blut, grün und blau und übel zugerichtet, alle verletzt.
»So ist das, wenn man gegen die Hand kämpft«, meinte Kaldar mit unfroher Stimme.
Die Jungen sagten nichts.
»Morgen kaufe ich zwei Tickets«, fuhr Kaldar fort. »Wir setzen euch in ein Flugzeug Richtung Broken. Ihr landet auf einem großen Flughafen, dann bringt euch ein anderes Flugzeug zu einem kleineren Airport in der Nähe eures Geburtsortes. Dort geht ihr ins Edge, findet eure Großmutter und wartet bei ihr, bis Declan euch abholen kommt.«
»Nein«, erwiderte George. Seine Stimme quietschte wie eine ungeölte Tür. »Wir bleiben bis zum Schluss dabei.«
»Jack?«, fragte Kaldar.
»Wir bleiben bis zum Schluss dabei«, wiederholte Jack mit verhaltenem Ungestüm.
»Okay«, nickte Kaldar.
»Okay?«, echote Audrey. »Okay? Helfen Sie mir mal, Kaldar, was an alledem ist gut? Sitzen wir noch im selben Auto? Sehen Sie eigentlich, was ich sehe?«
»Wir sind alle am Leben und weitgehend unverletzt«, meinte Kaldar.
»Wir setzen die zwei morgen in das verdammte Flugzeug.«
»Wir gehen aber nicht«, widersprach George.
Jack tätschelte ihre Hand.
»Doch, das werdet ihr. Das hier ist kein Ort für Kinder. Und auch kein Kampf für Kinder. Wir sind heute nur knapp mit dem Leben davongekommen.«
»Sie haben hier aber eigentlich auch nichts verloren«, sagte George leise.
»Na, und ob, schließlich habe ich diesen Schlamassel mit angerichtet. Also muss ich die Sache auch wieder hinbiegen.«
»Wir auch«, sagte Jack. »Wir helfen euch.«
»Sie haben wie Große gekämpft«, warf Kaldar ein. »Also behandele ich sie auch wie Große. Erwachsene wissen, welchen Preis sie zahlen müssen, und treffen die richtigen Entscheidungen.«
Audrey schloss die Augen. »Ihr seid doch alle verrückt.«
»Die schon«, erwiderte Gaston. »Ich nicht.«
»Du hast einen abgeschlagenen Kopf im Schoß.«
»Was willst du eigentlich damit anstellen?«, wollte Kaldar wissen.
Ein Achselzucken, Gaston fuhr zusammen und rieb sich die Schulter. »Ich habe gedacht, ich konserviere den irgendwie und nehme ihn mit.«
»Wieso?«, fragte Audrey. Lieber Herr Jesus, warum will er einen Kopf behalten ?
»Ich will ihn meinen Eltern als Geschenk schicken. Meiner Mom wächst dadurch zwar kein neues Bein, aber vielleicht geht es ihnen dann besser.« Gaston tätschelte Karmashs Haar. »Er ist zwar nicht Spider, aber immerhin sein bester Mann.«
Kaldar hob die Hand, und Gaston klatschte ab.
»Danke für den Blitz, George«, sagte Kaldar. »Das war ein teuflisch guter Schutzschild.«
Auf Georges verdrecktem Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab.
»Ja, genau«, sagte Gaston. »Der Blitz war irre. Und Jack, du hast es denen erst richtig gezeigt. Bestimmt hast du uns damit den Arsch gerettet.«
Jack richtete sich auf.
»Ja. Tut mir leid, dass ich euch das nicht ersparen konnte, aber das Timing hätte nicht besser sein können«, meinte Kaldar. »Ihr habt zwei Agenten der Hand ausgeschaltet und geholfen, zwei weitere zu töten, darunter einen alten Unteroffizier. Beim Spiegel gibt es im Nahkampf ausgebildete Agenten, die ihren rechten Arm dafür geben würden, jetzt an eurer Stelle zu sein. Soweit ich weiß, ist auf deinen Kopf da sogar ein Preis ausgesetzt, Gaston.«
»Das ist toll, aber ich glaube, Mom und Dad würden den Kopf lieber haben.«
Audrey vergrub ihr Gesicht in den Händen. So machten sie alles nur noch schlimmer. Sie hatte heute Abend mehr Gewalt gesehen als in ihrem gesamten bisherigen Leben. Dann stieg ihr der Rostgeruch in die Nase, und ihr ging auf, dass sie Blut an den Händen und es inzwischen vermutlich über das ganze Gesicht verschmiert hatte. Warum fühlte sie nicht mehr? Warum war ihr nicht kotzübel? Warum erbrach sie sich nicht am Straßenrand. Oder warum verwandelte sie sich nicht unter Schock
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