Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
Gewicht lag angenehm schwer in der Hand. Wenn es zum Äußersten kam und er sich rasch verdrücken musste, konnte er damit die Fensterscheibe einwerfen und sich einen Vorsprung verschaffen.
Zwei Männer traten aus einem Seitengang. Einer mittleren Alters, mit blonden, bereits ergrauenden Haaren und dem glatten, reinlichen Aussehen eines Mannes, der daran gewöhnt war, mit Reichen umzugehen und gut davon zu leben. Der andere war Alex Callahan. Groß, schlaksig und mit halblangem Haar, dessen Farbe zwischen spülwasserblond und verschossenem Rot changierte. Callahan hatte einen komischen Gang, als würde er dem Boden nicht zutrauen, sein Gewicht zu tragen. Seine Wangenknochen waren messerscharf, seine Wangen ausgehöhlt, und sein Hals ragte lang und knochig aus dem Kragen eines übergroßen T-Shirts. Ein gemeines, arrogantes Grinsen verzog seine Mundwinkel. Seine Augen strahlten manische Energie und Geringschätzung aus. Es war der Blick, der besagte: »Du hältst mich für einen Haufen Scheiße, weil ich ein Junkie bin, aber weißt du was? Ich bin besser als du.«
Kaldar hatte diesen Blick schon bei anderen verhätschelten Süchtigen gesehen. Hier hatte er es nicht mit einer armen Seele zu tun, die dringend Hilfe benötigte und sich für den nächsten Schuss entwürdigte. Dieser Mann stand kurz vor einem Gewaltausbruch, sah sich als Opfer und glaubte, dass der Rest der Welt ihm etwas schuldete.
Callahan war kaum mehr zu packen. Drohungen würden hier nichts bringen. Er scherte sich einfach nicht mehr um sich selbst oder seine Familie.
»Cousin!« Kaldar grinste Alex an.
Callahan blieb ungerührt. »Dich hätte ich hier nicht erwartet, Cousin.«
Sein älterer Begleiter streckte seine Hand aus. »Ich bin Dr. Leem. Ich kann Ihnen versichern, dass man sich hier gut um Alex kümmert. Ist es nicht so, Alex?«
»Sicher«, nickte Alex.
»Setzen wir uns doch«, schlug Leem vor.
Sie nahmen in der Ledergarnitur Platz, und Leem stürzte sich in einen langen Vortrag über die Vorzüge der Einrichtung. Kaldar tat, als würde er ihm zuhören, und behielt dabei Callahan im Auge, der wiederum ihn beobachtete. In der Akte des Staates Louisiana stand, er sei 28, jedoch sah er aus wie 48. Mit dem Fuß klopfte er nervös auf den Boden und zupfte ständig an seiner Nagelhaut, während er den Mund zu Variationen seines Grinsens verzog, das er vermutlich fast ständig im Gesicht trug. Er war nun seit fast 48 Stunden in dieser Einrichtung. Man hatte ihn entgiftet, also war Alex Callahan clean, und darauf stand er nicht die Bohne.
Schließlich hob Kaldar die Hand.
»Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen ins Wort falle, Doktor, aber meine Zeit ist begrenzt. Ich werde zu einem Meeting in L. A. erwartet. Wäre es möglich, Alex und mich kurz alleine zu lassen? Es wird nicht lange dauern.«
»Selbstverständlich.« Leem erhob sich und ging zum Tresen, von wo aus er sie im Auge behalten konnte.
Callahan lehnte sich zurück, bis die knochigen Knie den Stoff seiner Jeans spannten. »Was kann ich für dich tun, lieber Cousin?«
Eine flüchtige Bewegung, schon erschien wie durch Zauberei zwischen Kaldars Zeige- und Mittelfinger ein Klarsichtbeutel. Darin spreizte eine kleine rote Blume ihre Blütenblätter. Bromedia. Das stärkste pflanzliche Halluzinogen, das im Weird zu beschaffen war. Reinster Stoff. Er hatte das Zeug während eines Einsatzes für den Spiegel beschlagnahmt. Im Zuge einer Unzahl illegaler Grenzübertritte zwischen dem Edge und dem Weird. Als es schließlich zur Festnahme kam, fiel es niemandem auf, dass ein Teil der Konterbande abhandengekommen war.
Callahan ließ das Päckchen nicht aus den gierig brennenden Augen. Kaldar schloss einen Moment lang die Faust, öffnete sie wieder und präsentierte Callahan die leere Hand. Das Tütchen mit der Blume darin war verschwunden.
»Wie sind Sie aus Adriana herausgekommen?«, fragte Kaldar.
»Durch Teleportation. Das kann ich gut«, antwortete Callahan. »Aber nur hin und wieder und nur ungefähr über sechzig Meter. Es wurde eng, und die Freaks der Hand kamen immer näher, da habe ich mich und meinen Alten von dem Platz befördert, danach sind wir gerannt.«
Ein Teleporter. Kaldar war schon mal einem begegnet – eine ebenso seltene wie nützliche Gabe, aber Teleporter konnten immer nur wenige Meter am Stück zurücklegen, und die meisten waren danach ein, zwei Tage zu keinerlei Magie mehr fähig.«
»Was wurde aus dem dritten Partner?«
»Audrey hat uns verlassen, bevor wir nach
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