Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
haben ein paar Tage Vorsprung.« Er fädelte sich in den Verkehr ein.
»Sie wissen genau, dass wir mindestens zwei Wochen benötigen.«
»Tja, dann müssen wir uns eben beeilen.«
Sie sah ihn an.
»Ich habe so ein Gefühl, als wäre das Schicksal auf meiner Seite«, teilte er ihr mit.
»Schicksal?«
»Mhm. Zweimal hat es mir bisher übel mitgespielt, damit habe ich mir seine Gunst verdient. Lassen Sie uns Yonker ausspionieren. Vielleicht ändern Sie Ihre Meinung ja noch.«
»Und was ist mit den Jungs?«
»Die sind beim Drachen gut aufgehoben. Außerdem müsste Gaston seinen Ausflug zu den Einheimischen mittlerweile absolviert haben. Er wird die zwei schon von Dummheiten abhalten. Denen geht’s bestens.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ist Ihre Lebenseinstellung, nicht wahr? Schwamm drüber, und alles ist gut.«
»Hey, bisher hat das ganz gut geklappt.«
»Sie sind unmöglich.«
Kaldar lachte.
9
Kaldar reichte Audrey das Fernglas. Sie hatten abseits geparkt, hinter ihnen jede Menge Lieferwagen, ein großer Lebensmittelladen, ihr gestohlenes Auto ein anonymes Fahrzeug unter allen anderen. Ein paar Hundert Meter weiter stand hinter einem weiteren Parkplatz ein großes beige-braunes Gebäude zwischen hohen kalifornischen Platanen und Flammenbäumen mit leuchtend roten Blüten. Die Kirche der Gesegneten. Robust, massiv, brandneu, mit großen makellosen Fenstern und einem Portikus vor den Doppeltüren. Einen Kirchturm gab es nicht, keinen Glockenturm, überhaupt keinen Hinweis auf eine Kirche. Das Gebäude erinnerte allenfalls an ein Kongresszentrum.
Audrey nahm das Fernglas. Ihre Fingerspitzen berührten seine Hand. In seiner Vorstellung küsste er sie, kostete ihre Himbeerlippen. Und in seiner kleinen Fantasie fuhr sie natürlich darauf ab. Er fragte sich müßig, ob sie wohl darauf wartete, dass er sie küsste. Würde sie zurückweichen, würde sie sich ihm hingeben, würde sie …
»Kinder.«, sagte sie und gab ihm das Fernglas zurück.
Er sah hin. Eine Schar halbwüchsiger Jungen lief zum Eingang. Jeder trug etwas Helles … Kaldar zoomte. »Flugblätter. Sie haben Flugblätter.«
Audrey griff nach dem Fernglas, und er überließ es ihr. »Ein ganz schön magerer Haufen«, murmelte sie. »Vermutlich Ausreißer. Hier ist es warm. In der Stadt wimmelt es von ihnen. Er benutzt sie als Werbeträger.«
Den Jungs folgte ein Mann Anfang dreißig mit einem Plakat. Die Türen gingen auf, und zwei Frauen schoben einen Wagen mit Butterbroten heraus. Die Kinder nahmen Aufstellung. Der Mann rammte das Plakat ins Gras und stellte sich hinten an.
»Kommt zu Jesus und lebt ein erfülltes Leben«, las Audrey vor. »Alles klar, ein Wohlstandsprediger, puh.«
»Ich wollte Sie das schon fragen«, sagte Kaldar. »Was ist ein Wohlstandsprediger?«
Audrey setzte das Fernglas ab. Vor Wut und Überraschung machte sie große Augen und sah urkomisch aus.
»Sie haben den Auftrag angenommen, obwohl Sie keine Ahnung haben, was ein Wohlstandsprediger ist?«
»Sie können es mir ja erklären.«
»Kaldar!«
Er kam näher. »Mir gefällt, wie Sie meinen Namen aussprechen, Liebes. Sagen Sie ihn doch noch mal.«
Sie nahm eine Karte vom Armaturenbrett. »Nein.«
»Audrey!!!« Er spielte mit einer ihrer Locken. Dann senkte er seine Stimme zu dem leisen, intimen Flüstern, mit dem er normalerweise Frauen herumkriegte. »Sagen Sie meinen Namen.«
Sie beugte sich mit halb gesenkten Lidern zu ihm, ihre langen Wimpern fächerten ihre Wangen. Sie neigte ihm ihren Kopf entgegen, nah, näher, ihre Lippen teilten sich.
Jetzt geht’s los .
»Blödmann.«
Autsch .
Sie klatschte ihm die Karte vor die Stirn. »Konzentration.«
Das Weib trieb ihn noch in den Wahnsinn. »Würde ich ja, aber ich wurde gerade zurückgewiesen und muss jetzt in Selbstmitleid zerfließen. Wohlstandsprediger. Was war das gleich?«
Audrey seufzte. »Was wissen Sie über das Christentum?«
»Ich habe die Bibel gelesen«, teilte er ihr mit. »Die besten Kapitel.«
»Lassen Sie mich raten: alle, in denen es um Kriege, reiche Könige und Frauen geht?«
Er sah sie mit Unschuldsmiene an. »Wir kennen uns kaum, trotzdem wissen Sie so gut über mich Bescheid.«
»Im Neuen Testament, das ist das, in dem Jesus vorkommt, falls Sie’s nicht wissen, steht nichts Gutes über Reiche. Im Matthäus-Evangelium gibt es eine Geschichte, in der ein reicher Prinz zu Jesus kommt und von ihm wissen will, wie er ins Himmelreich gelangt. Jesus antwortet ihm, er solle die
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