Land der Sehnsucht (German Edition)
brauchen würde.
Sie hielt beschwichtigend eine Hand hoch. „Ich beeile mich. Das verspreche ich dir.“
Während er ihr zuschaute, wie sie in Richtung Hotel auf der Straße verschwand, konnte Jack sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie hatte nicht einmal auf seine Antwort gewartet. Sie wusste genau, dass er nicht ohne sie losfahren würde.
* * *
Véronique erreichte den zweiten Stock des Hotels und war von ihrem schnellen Gang zurück erschöpft. Sie hatte es aber nicht gewagt zu laufen, da sie befürchtete, dass sie vielleicht jemand sehen könnte, selbst wenn es noch so früh am Morgen war. Sie wusste, dass Jack die Minuten zählte. Obwohl sie ziemlich sicher war, dass er auf sie warten würde, hätte sie nicht ihr Leben darauf verwettet.
Als sie sich ihrem Zimmer am Ende des Flurs näherte, verlangsamte sie ihre Schritte.
Ihre Zimmertür stand offen.
Sie schaute um die Ecke und sah Lilly kurz hinter dem Eingang stehen. Das Mädchen stand völlig regungslos da. Ihre Arme waren mit schmutziger Wäsche beladen und sie schien etwas an der gegenüberliegenden Wand anzustarren.
Véronique trat vor. Der Holzboden knarrte unter ihrem Stiefel.
Lilly fuhr herum. „Oh, Mademoiselle Girard!“ Ihre Wangen färbten sich dunkelrot. „Entschuldigung, ich wollte nicht … ich meine, ich habe nur …“ Der Blick des Mädchens kehrte wieder zur Wand zurück. „Woher haben Sie das?“
Véronique folgte Lillys Blick und spürte, wie ihre eigenen Wangen anfingen, vor Verlegenheit zu glühen. Ihre Bilder waren an der Wand aufgereiht, wo sie sie am Vorabend stehen gelassen hatte.
Nachdem sie gestern Abend noch einige Briefe von ihrem Vater gelesen hatte, war das Heimweh beinahe übermächtig geworden und sie hatte ihre Bilder aus der Truhe geholt. Die Bilder von dem weiten Rasen entlang der Champs-Elysées und den Gärten, dem Château de Versailles, dem Place de la Concorde, dem Arc de Triomphe, dem Cimetière de Montmartre und mehrere Bilder von einer Brücke über die Seine. So oft sie es auch versucht hatte, Véronique war nie gelungen, die Atmosphäre auf dieser Brücke zu ihrer Zufriedenheit einzufangen. Trotzdem hatte es sie getröstet, sich mit Szenen aus Paris zu umgeben. Es gab ihr das Gefühl, nicht so weit von allem weg zu sein, was ihr vertraut war. Von ihrer Mutter. Von zu Hause.
Aber in ihrer Eile hatte sie heute Morgen nicht die Zeit gehabt, die Bilder wieder in die Truhe zu packen.
Véronique ging auf die andere Seite des Zimmers und sammelte schnell so viele Leinwände ein, wie sie in ihren Armen halten konnte, und drehte den Rest zur Wand herum. Wenn Lilly herausfände, wer sie gemalt hatte, würde das liebe Mädchen sich gezwungen fühlen, ihr Komplimente zu machen, die sie nicht verdiente. „Pardonnes-moi, Lilly. Es tut mir leid, dass ich das nicht weggeräumt habe.“
„Mademoiselle Girard, bitte entschuldigen Sie, wenn ich noch einmal frage: Woher haben Sie diese Bilder?“
Etwas an der Stimme ihrer jungen Freundin ließ Véronique innerlich still werden. Sie unterbrach ihre Aufräumbemühungen und senkte den Blick. Das rhythmische Ticken der Uhr auf dem Kaminsims erfüllte die Stille. „Ich habe sie von zu Hause mitgebracht.“
Als sie hörte, wie Lilly schnell einatmete, wusste Véronique, was jetzt käme.
Ihre Brust zog sich zusammen, als sie sich mit schmerzlicher Klarheit an die wenig schmeichelhafte Kritik eines bestimmten Lehrers an ihren Arbeiten und ihrem Stil erinnerte. Sie hatte diese Kritik vorher schon gehört: dass ihre Arbeit zu unkonventionell sei, dass sie nichts wert sei, dass sie kein Talent habe. Aber die Kritik war noch nie von jemandem gekommen – und das verletzte ihre Eitelkeit –, der sie so sehr bewundert hatte wie Lilly, obwohl sie sich noch nicht lange kannten.
„Diese Bilder haben alle den weiten Weg aus Paris zurückgelegt?“ Lilly legte die Wäsche weg und trat näher. „Sie sind einfach …“ Sie lachte fasziniert und ungläubig. „… magnifique!“
Véronique wusste nicht, was sie darauf sagen sollte.
Lilly beugte sich vor, betrachtete eines der Bilder und kniff die Augen zusammen. „Es ist komisch: Wenn ich sie aus der Nähe anschaue, sehe ich nur winzige kleine Farbtupfer. Aber wenn ich sie aus einiger Entfernung betrachte, ist es, als schaute ich aus einem Fenster auf einen magischen Ort, von dem ich nur träumen kann. Wie konnten Sie nur je freiwillig eine solche Stadt verlassen?“
Véroniques Gefühle, als sie Lillys Gesicht ansah,
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