Land der wilden Sehnsucht
würde ich gern sehen.“
„Vielleicht lässt sich das machen.“ Blaine drehte sich kurz zu ihr um. Diese schöne junge Frau faszinierte ihn, doch er traute ihr nicht ganz. Sie erinnerte ihn an eine zusammengerollte Schlange unter einem Spinifexbusch, die jeden Augenblick zuzustoßen vermochte. Trotzdem genoss er ihre Gesellschaft in vollen Zügen. Dass zwischen ihr und Mark etwas gewesen war, hielt er für unwahrscheinlich, aber ein leiser Zweifel blieb. Vielleicht belog sie ihn. Mark war ein schwieriger, unausgeglichener Mensch gewesen, trotzdem waren die Frauen immer von ihm beeindruckt. Dazu kam, dass er sich ohnehin alles genommen hatte, was ihm verlockend erschien. Blaine nahm sich fest vor, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.
Sienna hatte die entstandene Pause ebenfalls benutzt, um nachzudenken. Sie fühlte sich zu Blaine hingezogen, was sie immer mehr beunruhigte. Am liebsten hätte sie es ihm gesagt, aber sie war klug genug, es nicht zu tun. Stattdessen wandte sie sich wieder der Landschaft zu.
„Man könnte fast Angst bekommen“, meinte sie. „Ich möchte da unten nicht verloren gehen.“
„Allein würden Sie auch nicht lebend zurückkommen“, bestätigte Blaine. „Unser größter Forscher, der Deutsche Ludwig Leichhardt, verschwand achtzehnhundertachtundvierzig im Outback … zusammen mit allen Männern und Tieren der Expedition. Er wollte den Kontinent von Osten nach Westen durchqueren. Den spektakulären Marsch von Brisbane zur Halbinsel Coburg nordöstlich von Darwin hatte er bereits hinter sich, aber die Wüste brachte ihm den Tod. Was damals wirklich passiert ist, wird ewig ein Rätsel bleiben. Unser Autor Patrick White, Gewinner des Nobelpreises für Literatur, hat unter dem Titel ‚Voss‘ ein Buch über ihn geschrieben. Es gibt auf der Ranch davon mehrere Exemplare, falls sie Lust haben, es zu lesen.“
Sienna wurde immer neugieriger. „Wurden Suchtrupps nach Leichhardt ausgeschickt?“
„Sogar mehrere, keiner hatte jedoch Erfolg. Man fand nur einige Bäume, in deren Rinde ein ‚L‘ eingeritzt war. Was Sie jetzt vor Augen haben, hat Leichhardt ebenfalls gesehen: eins der rauesten und wildesten Gebiete der Erde. Es ist allerdings auch das Land der Rinderkönige. Wir produzieren das weltweit beste Rindfleisch.“
„Das habe ich gelesen. Bei uns in Kanada werden ebenfalls hochklassige Tiere gezüchtet.“
Blaine nickte. „In Alberta … dem kanadischen Texas. Nennt man es nicht so? Unsere traditionellen Handelspartner waren immer die Vereinigten Staaten und Japan, inzwischen exportieren wir jedoch auch nach Kanada und Südostasien. Unsere Länder haben aufgrund der weiten Entfernungen die gleichen Transportprobleme. Wir benutzen Sattelzugmaschinen mit mehreren angehängten Aufliegern, sogenannte ‚Road Trains‘, um das Fleisch von den Stations, so nennt man bei uns die Ranchs, in die Städte zu bringen.“
„Das habe ich gelesen“, antwortete Sienna. „Ich habe mich vor unserem Abflug noch ein bisschen informiert. In meinem Reiseführer war auch von den Wildblumen die Rede, die nach einem Regen fast über Nacht aus der Erde sprießen. Ich habe nicht angenommen, dass ich bei meiner Ankunft auf einen solchen Blütenteppich hinunterschauen würde. Es ist einfach unglaublich.“
Unter ihr breitete sich meilenweit ein weiß-gelbes Blumenmeer aus, unterbrochen von rosa oder purpurvioletten Farbtupfern.
„Ich betone noch einmal, dass Sie ein sehr gutes Jahr erwischt haben“, sagte Blaine. „Das Land hat einen völlig anderen Charakter angenommen. Der Regen war wirklich ein Himmelsgeschenk. Sie erleben das Channel Country sozusagen in Höchstform, wenn auch leider aus traurigem Anlass. Hilary und Marcia erwarten Sie bereits voller Ungeduld. Von Joanne haben Sie Amanda doch nichts erzählt, oder?“
Sienna schüttelte den Kopf. „Ich fand, es war noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Joanne wird vermutlich an der Beisetzung teilnehmen?“
„Mit ihrer ganzen Familie, was Sie nicht erschrecken darf. Joanne hat sehr gelitten, aber sie weiß sich zu benehmen.“
„Verlangen Sie eine Garantie von mir, dass Amanda es auch kann?“
„In gewissem Sinn, ja. Sie steht verständlicherweise noch unter Schock. Es kann allerdings nicht nur an dem langen Flug liegen, dass sie so labil ist.“
„Man sollte nicht zu viel von ihr erwarten“, verteidigte Sienna ihre Cousine. „Etwas anderes macht mir mehr Sorgen.“
„Heraus damit“, forderte Blaine sie auf und warf ihr einen
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