Land der wilden Sehnsucht
Sie sah krank, fast hinfällig aus.
„Geht es dir etwas besser?“, fragte Sienna besorgt.
„Ich fühle mich grässlich, wenn du es genau wissen willst“, antwortete Amanda gereizt. „Mir ist übel. Ich musste mich nach dem Frühstück übergeben.“
„Du Ärmste!“ Sienna fragte sich, ob Amanda vielleicht schwanger war, und verwarf den Gedanken wieder. Sie würde es ihr erzählt haben.
„Es sind wahrscheinlich die blöden Tabletten, die mir der Arzt nach dem Unfall verschrieben hat“, erklärte Amanda. „Sie haben zwar geholfen, bekommen mir aber nicht.“
„Man sollte sie nicht mit Alkohol einnehmen“, erinnerte Sienna sie behutsam.
„Fang jetzt bloß nicht wieder damit an!“ Amanda war sofort beleidigt. „Ich brauche das Zeug einfach.“
„Schon gut, Mandy. Versuch jetzt, dich zu entspannen. Wo ist dein Outfit?“ Sienna zeigte auf das himmelblaue Kleid, das auf dem Bett bereitlag. „ Das willst du doch wohl nicht anziehen?“
„Ich gehe nicht in Schwarz wie du!“, brauste Amanda auf.
„Bitte, Mandy … werde nicht gleich hysterisch. Nicht an diesem Tag. Wenn du das blaue Kleid gern anziehen willst … Es ist vielleicht ein bisschen …“
„Mark liebte es an mir“, verteidigte Amanda ihre Wahl. „Er mochte es überhaupt, wenn ich diese Farbe trug.“
„Also gut.“ Sienna merkte, dass ihre Beschwichtigungsversuche wirkungslos waren. „Welchen Hut setzt du dazu auf?“
„Welchen Hut ?“, schrie Amanda außer sich. „Ich habe keinen.“ Erschöpft sank sie in einen Sessel.
„Denk an die Sonne, Mandy“, erinnerte Sienna sie. „Ohne wirst du dir einen Sonnenbrand holen. Wir brauchen beide Kopfbedeckungen und müssen uns außerdem noch mit einer Creme mit hohem Schutzfaktor einreiben. Der Familienfriedhof liegt ziemlich weit entfernt. Wir werden zwar im Auto hinfahren, aber dann stehen wir unter freiem Himmel.“
„Das ist mir egal“, erwiderte Amanda. „Am liebsten würde ich gar nicht mitkommen. Keinem liegt etwas an mir. Ich bin Marks Witwe, aber vor dir kriechen sie auf allen vieren. Es ist grotesk. Blaine glaubt, dass du es absichtlich tust.“
Sienna kannte den alten Vorwurf. „Dass ich was tue?“, fragte sie scharf.
„Die Menschen für dich einnimmst. Blaine ist dir auf die Schliche gekommen, Darling. Übrigens ist das ein hübsches schwarzes Kleid. Die kurzen Ärmel stehen dir. Du bist überhaupt Sonderklasse. Ich wette, du hast dir zu Hause noch einen todschicken schwarzen Hut gekauft.“ Während sie die letzten Worte sagte, lächelte sie so höhnisch, dass Sienna in höchstem Maße alarmiert war.
„Muss ich dich darauf hinweisen, dass Mark heute beerdigt wird?“, fragte sie leise.
„Wenn ich darüber nachdenke …“ Amanda rekelte sich und streckte ihre schlanken Beine aus. „Mark hatte bestimmt Selbstmordgedanken.“
Sienna wurde blass. „Habt ihr jemals darüber gesprochen?“
„Nein, aber vielleicht hat er sich dir anvertraut.“ Amanda sprang wütend auf. „Mein Mann liebte dich , Sienna! Ihm war alles egal, wenn er nur in deiner Nähe bleiben konnte. Früher oder später hätte er mich deinetwegen verlassen.“
Der Stich traf in die alte Wunde. „Wie oft muss ich es noch wiederholen?“, fragte Sienna gequält. „Mark interessierte mich nicht. Er war dein Mann.“
„Er verliebte sich in dem Moment, als ich dich ihm vorstellte.“ Amandas blaue Augen funkelten vor Neid und Eifersucht.
„O nein!“ Sienna presste beide Hände gegen ihre Stirn. „Mit anderen Worten: Mark heiratete dich , obwohl er mich liebte?“
„Es sind schon seltsamere Dinge geschehen, liebe Cousine. Mark träumte sogar von dir.“
Sienna wollte nur noch weg – weg aus diesem Zimmer. „Selbst wenn das stimmen sollte“, sagte sie, „was absolut nicht der Fall ist, musst du damit aufhören, Mandy. Du willst mich hängen sehen … für etwas, das ich nicht getan habe.“
„Das hast du gesagt … ich nicht.“
Sienna wandte sich zur Tür. „Du zerstörst unsere Freundschaft, Mandy. Ist dir das klar?“
„Schon möglich, aber was ich weiß, das weiß ich.“ Das hilflose Püppchen mit dem blonden Lockenkopf und den großen blauen Augen schien plötzlich gar nicht mehr so zerbrechlich zu sein.
„Dann weißt du hoffentlich auch, dass ich dich deinem Schicksal überlasse, wenn du so weitermachst. Es ist höchste Zeit, dass du für dich selbst geradestehst.“
Die deutliche Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht, zumal Amanda ganz genau wusste, wann ihre
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