Land der wilden Sehnsucht
dann, dass Sie sich so rasch mit ihnen angefreundet haben? Auch mit Magda verstehen Sie sich gut. Sie können mit Menschen umgehen, denn jeder spürt Ihre warme Anteilnahme. Das ist selten und daher umso bezaubernder.“
„Wollen Sie etwa damit sagen, dass ich eine merkwürdige soziale Ader habe?“, fuhr Sienna auf.
„Ihre Augen sprühen Funken, wenn Sie zornig sind“, antwortete Blaine und sah sie amüsiert an.
„Und Sie machen sich über mich lustig.“
„Ich bekenne mich schuldig.“ Er lächelte, wurde aber gleich wieder ernst. „Lassen Sie uns für heute Frieden schließen. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass Hilary, Marcia und sogar Magda aufrichtig wünschen, dass Sie recht lange bei uns bleiben.“
„Aber, Blaine!“, rief Sienna aus. „Amanda will so schnell wie möglich wieder nach Hause!“
„Was hat das mit Ihnen zu tun? Ihre Cousine ist eine erwachsene Frau. Übrigens hat sie sich schon erkundigt, wie viel Geld ihr zusteht.“
Sienna war schockiert. „Wirklich?“ Sie sah ihn entsetzt an. „Wann denn?“ Amanda hatte ihr nichts gesagt.
„Gestern Abend. Sie behauptete, es sei Ihre Idee gewesen, danach zu fragen.“
„Das bestreite ich entschieden!“
Blaine betrachtete ihr empörtes Gesicht. Unter anderen Umständen würde ich sie jetzt in die Arme nehmen und küssen, dachte er. Würde sie sich wehren oder allen Widerstand aufgeben und an meine Brust sinken? Leider war heute nicht der richtige Tag, um sich so lustvollen Gedanken hinzugeben. Ja, es war Lust – und gleichzeitig viel mehr. Sie fühlten sich nicht nur körperlich zueinander hingezogen. Sie verstanden einander auch. Sie waren eindeutig Seelenverwandte. Und auch das hatte einen Reiz.
Wie unter Zwang streckte er die Hand aus und strich Sienna übers seidig schimmernde Haar. „Dann hat Amanda gelogen?“
Sienna fuhr zurück. Nicht etwa, weil sie über ihre Cousine empört war, sondern weil Blaines Berührung sie erschreckt hatte. „Glauben Sie, was Sie wollen, Blaine … das tun Sie ja sowieso. Hat Amanda zufällig auch gesagt, welche Summe ich für angemessen halte?“
„Eine viel zu hohe.“
„Sie scherzen!“ Sienna ärgerte sich immer mehr über seine unerträgliche Arroganz. Gleichzeitig sehnte sie sich danach, die Fingerspitzen über seine Lippen, das unrasierte Kinn und die nackte Brust gleiten zu lassen. Nichts außer ihm existierte in diesem Augenblick. Kein Mann war ihr jemals so begehrenswert vorgekommen.
„Nein, ich mache keine Witze, und dabei sollten wir es belassen.“ Er entfernte sich einige Schritte, blieb dann stehen und drehte sich wieder um. „Bis zehn Uhr werden alle Trauergäste hier sein. Die meisten kommen mit dem Flugzeug … einige auch mit dem Auto. Es werden weitaus weniger sein als bei Dads Beerdigung, mit hundert Menschen können wir dennoch rechnen.“
„Sind Joanne und ihre Eltern auch dabei?“ Sienna wurde plötzlich bewusst, dass die Morgensonne durch ihr hauchdünnes Nachthemd schien. Sie hätte den Morgenmantel zubinden sollen, aber jetzt war es zu spät. Sie musste Blaines Blick standhalten, so nervös er sie auch machte.
„Ja. Passen Sie gut auf Amanda auf.“
„Was soll das heißen?“
„Du liebe Güte … Sienna!“ Blaine fuhr sich mit beiden Händen durch das dichte Haar. „Sie müssen Jahre damit zugebracht haben, Ihre Cousine vor Dummheiten zu bewahren … wenn Sie die Ehe mit Mark auch nicht verhindern konnten. Ich denke vor allem an Hilary. Sie verlässt sich auf mich, seit Dad uns genommen wurde. Sein Tod hat sie fast umgebracht, und jetzt muss sie ihren einzigen Sohn begraben. Sie liebte Mark vorbehaltlos. Meine Mahnungen und Warnungen wurden missachtet, trotzdem verdient sie äußerste Rücksichtnahme. Ich wünsche keine Szenen vonseiten ihrer Schwiegertochter. Es mag Sie kränken, Sienna, aber ich bin überzeugt, dass Amanda ihre Ausbrüche genauso genießt … wie Mark damals seine.“
Damit sagte er Sienna nichts Neues.
Gegen neun Uhr pochte Sienna an Amandas Tür und wartete darauf, hereingebeten zu werden. Ihre Cousine war nicht zum Frühstück erschienen. Magda hatte ihr Kaffee und Toast hinaufgebracht, während Sienna, Hilary und Marcia in bestem Einvernehmen unten am Tisch saßen.
Als auf das Klopfen keine Antwort erfolgte, öffnete Sienna vorsichtig die Tür. Amanda stand mitten im Zimmer. Sie trug nur BH und Slip, hatte sich aber schon geschminkt. Das blonde Haar war frisch gewaschen und umrahmte in weichen Locken ihr blasses Gesicht.
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