Land des Todes
eine Erwiderung, denn Lina hatte das geflüsterte Gespräch gehört. Wie ein wildes Tier starrte sie mich an. »Damek? Hier? Bringt ihn sofort her!«
»Ruhig, Frau Lina. Sie sind zu krank, um jemanden zu empfangen!«, sagte ich.
Ihre Nasenflügel erbleichten vor Wut. Der Zorn brachte ihre Kraft zurück, und bevor ich sie aufhalten konnte, hatte sie die Bettdecke von sich geworfen und hielt auf die Tür zu. Sie weigerte sich standhaft, sich wieder hinzulegen, bis ich versprach, Damek zu holen. Dabei war ihre Erregung so außerordentlich, dass ich in Panik verfiel. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Besuch Dameks etwas anderes als eine Verschlechterung ihres Zustands bewirken könnte. Doch seine Anwesenheit zu leugnen, erschien mir genauso gefährlich zu sein. Und wenn ich Damek zu ihr ließe, was sollte ich dann Tibor sagen?
Ich haderte noch immer mit mir, als Damek das Zimmer betrat, dicht gefolgt von der Köchin, die hilflos die Hände knetete, weil es ihr nicht gelungen war, ihn daran zu hindern, heraufzukommen. Den Mantel hatte er abgelegt, in seinem Haar glitzerte Schnee, der in der Wärme des Hauses schmolz, und seine Hose war bis zu den Oberschenkeln hinauf nass. Erwirkte angespannt, aber als er Lina erblickte, versuchte er ein Lächeln, das allerdings zu einer grotesken Grimasse geriet.
Ihr Zustand traf ihn unverkennbar als harter Schlag. Es war, als erwecke seine Wahrnehmung der Lage die meine neu, und ich musterte Lina erneut durch seine Augen: Mit einem Stich im Herzen erkannte ich, dass sie nur noch einen Schatten der strahlenden Furie verkörperte, die Damek erst vor wenigen Tagen aus dem Haus geworfen hatte. Als zerbrechliche, zierliche Gestalt stand sie da und hielt sich am Bettpfosten fest, das Haar wild zerzaust, das Nachtgewand zerknittert. Abgesehen von den Lippen, die eine bläuliche Note angenommen hatten, war ihr Gesicht schneeweiß. Als sie Damek erblickte, erstarrte sie. Ihre Augen leuchteten, schwammen in unvergossenen Tränen.
»Lina«, flüsterte er, ergriff ihre Hand und küsste sie. »Was hast du dir angetan? Was hast du nur getan?«
Lina lehnte den Kopf an seine Schulter und schlang die Arme um seinen Hals. Ihr Rücken zitterte vor Schluchzen. Ich drehte mich um und zischte den anderen zu, das Zimmer zu verlassen – ich wollte keine Fremden hier, auch wenn Damek und Lina ihre Gegenwart ohnehin nicht wahrnahmen. Ich selbst wagte nicht zu gehen, andererseits bereitete es mir Unbehagen zu bleiben.
»Ich war sicher, du wärst tot«, sagte Lina schließlich. »Habe ich das geträumt? Es war zu grausam, dass du ein zweites Mal gestorben bist! Habe ich denn nicht schon genug um dich getrauert?«
»Nicht genug, Lina! Ich schwöre, ich wünsche dir ewige Trauer, wenn du dadurch nur am Leben bleibst.«
»Du weißt, dass ich sterbe«, sagte Lina gleichmütig. »Ich glaube, es kümmert mich nicht mehr. Was habe ich schon irgendjemandem genützt? Trotzdem fürchte ich mich …«
Damek stöhnte und vergrub das Gesicht in ihrem Haar. »Du bist so grausam, Lina. Du kannst nicht sterben und mich ganz allein lassen. Ich schwöre dir, ich bemitleide dich nicht.Du hast dir das ausgesucht, und du hast mich so sicher getötet, wie du dich selbst getötet hast. Ich werde dir nie verzeihen, nicht, solange ich auf dieser Welt atme …«
Lina sog scharf die Luft ein, als leide sie Schmerzen, und ich sprang mit einem Schrei auf. Damek drehte sich um und bedachte mich mit einem Blick, der mich geradewegs zurück auf den Stuhl beförderte.
»Du bist stark, Damek. Du weißt nicht, wie es ist, nicht stark genug zu sein«, sagte Lina. »Wie könntest du das auch verstehen? Und jetzt werde ich sterben, es ist ohnehin zu spät. Der Tod kam heute Morgen zu mir. Anna hat ihn vertrieben, aber ich kann ihn in der Ecke lauern sehen …«
Sie begann heftig zu husten, und Damek tätschelte ihren Rücken, bis sie sich erholte, dann hob er sie in seine Arme und küsste ungestüm ihr Gesicht. Mittlerweile weinte er unverhohlen, und er hielt sie so fest, dass seine Finger Male auf ihren weißen Armen hinterließen. Doch sie begehrte nicht auf und verstärkte nur den Griff um seinen Hals.
»Der Tod schmerzt viel weniger als die Geburt«, sagte sie. »Warum ist das so, Damek? Warum schmerzt es so sehr zu leben? Komm, du darfst nicht weinen wie ein kleiner Junge. Hör auf, Damek, ich finde nicht, dass es traurig ist. Erinnerst du dich daran, dass ich gesagt habe, ich würde ein Teil des Himmels und der Erde
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