Land des Todes
erzählte mir, dass Tibor eben erst zu Bett gegangen sei, hatte jedoch keine Meinung über Tibors oder Linas Verfassung. Dennoch schöpfte ich aus Irlis Bericht ein wenig Hoffnung: Es schien mir ein gutes Zeichen zu sein, dass sich Tibor zur Ruhe begeben hatte, und Linas Fieber hatte offenbar nachgelassen, obwohl sie immer noch unruhig schlief.
Nicht lange, nachdem ich Platz genommen hatte, erwachte Lina. Sie schien bei klarem Verstand zu sein, sprach allerdings beängstigend schnell und stockte häufig, um Luft zu holen. Den Zauberer erwähnte sie mit keinem Wort, wofür ich dankbar war: Anscheinend hatte sie die grässliche Begebenheit, die sich vor mittlerweile drei Tagen abgespielt hatte, völlig vergessen. Stattdessen redete sie ohne Unterlass über Tibor und Damek und versuchte, die Tugenden beider Männer zu analysieren. »Du hast recht, Anna«, meinte sie zu mir. »Ich hätte Tibor nie heiraten sollen. Er ist zu sanftmütig und gut, und ich fürchte, ich habe ihn zerrüttet. Er hat mich gebeten, ihm zu verzeihen – mich! Oh, es bricht mir das Herz!« Sie verstummte. Tränen kullerten ihr über die Wangen. »Es hat keinen Zweck, zu bedauern, das weiß ich. Trotzdem tut es mir leid, dass ich sterben werde und es zu spät für alles ist …«
Ihre Worte beunruhigten mich: Für meinen Geschmack hörten sie sich zu sehr nach einer Beichte an, und mir gefiel nicht, dass sie vom Sterben sprach. Lina war zweifellos schwach und krank, doch in meinen Augen keineswegs unheilbar. Das sagte ich auch zu ihr, mit mehr Überzeugung in der Stimme, als ich empfand. Sie schüttelte ungeduldig denKopf, widersprach jedoch nicht und kehrte stattdessen zu ihrem Gedankengang zurück.
»Damek ist hart wie eine Baumwurzel. Nicht wie Tibor, der mich trotz allem für etwas anderes hält … er irrt sich, oh, wie er sich irrt! Aber beide verraten mich, obwohl sie es nicht wissen, beide zerstören mich … Glaubst du, dass einem der beiden je wirklich etwas an mir gelegen hat? Oder haben sie nur ein Phantom geliebt, was immer sie sahen, wenn sie mich anschauten? Haben sie vergessen, mich zu lieben? Das frage ich mich, Anna, und ich fühle mich dadurch so einsam …«
Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte, zumal ich mich schon dasselbe gefragt hatte, also streichelte ich einfach ihre Hand und schwieg. Bald fuhr sie mit ihren selbstquälerischen Gedanken fort. »Nichts könnte Damek zerstören … nicht einmal ich. Aber könnte ich damit leben? Ich bin nicht so stark, ich sehne mich nach Zartheit … Bei ihm ist es, als würde man von einem Wolf geliebt, der Liebe nur als etwas kennt, dass es zu verschlingen gilt – und dennoch, was bin ich ohne ihn? Ich brauche ihn. Es ist keine Liebe, es ist schlimmer als das. Was kann ich nur tun? Was kann ich nur tun?«
Sie verstummte und schwieg so lange, dass ich glaubte, sie wäre eingeschlafen. Dann kämpfte sie mit ihrem Kissen und setzte sich auf. »Wo ist Damek?«, verlangte sie zu erfahren – mit einer Stimme, die sich plötzlich unnatürlich klar anhörte. »Ist er auch tot? Warum habe ich ihn so lange nicht mehr gesehen? Wenn er tot ist, musst du es mir sagen – du darfst nicht lügen, das würde ich sofort merken!«
Ich versicherte ihr, dass er so lebendig wie ich sei und nur durch die heftigen Schneefälle ferngehalten wurde, doch nichts, was ich sagte, konnte sie beschwichtigen. Im Verlauf der nächsten halben Stunde wurde sie zunehmend aufgewühlter. Ich sah, wie ihr hektische rote Flecken in die Wangen stiegen, und meine Sorge wuchs. Sie umklammerte meine Hand, weinte, rief nach Damek und schwor, wenn sie nicht stürbe, würde sie sich umbringen, um zu ihm in die Hölle zu gelangen.
Ich versuchte, sie dazu zu bringen, sich hinzulegen, aber in ihrem Fieberwahn war sie zu stark für mich, und es gelang ihr, sich aus dem Bett zu hieven und zum Fenster zu stolpern. Draußen konnte man kaum etwas erkennen, dennoch zeigte sie mit der Hand hinaus und rief, dass sie Dameks Geist durch den Schnee wandern sähe. Dann sank sie zu Boden. Sie war so schwach, dass sie sich nicht allein aufrappeln konnte. Ich rief nach Hilfe. Irli und mir war es gerade gelungen, sie zurück ins Bett zu schleppen, als die Köchin völlig außer Atem ins Zimmer gerannt kam und mir mitteilte, dass sich Damek unten in der Küche befände und mit mir sprechen wolle.
Diese Neuigkeit erstaunte mich – es schneite immer noch zu heftig, um gefahrlos irgendwohin zu gehen. Mir blieb keine Zeit für
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