Land des Todes
Bewusstsein nicht wieder und starb um Mitternacht, mit Tibor weinend an ihrer Seite.
Danach öffnete ich die Läden, um frische Luft hereinzulassen, da das Zimmer stickig und voll von säuerlichen Ausdünstungen war. Der nächtliche Himmel präsentierte sich ruhig und klar. Es hatte letztlich zu schneien aufgehört, und das weiße Plateau erstreckte sich vor mir bis hin zu den Bergen, ein langer, schimmernder Hang unter dem leuchtenden Firmament. Mondlicht fiel durch das Fenster und versilberte Linas Antlitz mit einer überirdischen Schönheit.
Einen wilden Augenblick lang war ich überzeugt davon, dass sie nur schlief, dass die vergangenen Tage nur ein Albtraum gewesen waren, aus dem ich nun erwachte, und dass ich sie am nächsten Tag wie üblich tadeln und ihr das Frühstück machen würde. Aber auch dieser Augenblick verging – wie jeder. Und als ob die Erschöpfung meinen Blick klärte, erkannte ich, wie still sie dalag, und dass ihre Lider nicht mehr flatterten … dass ihr Atem nicht mehr die losen Strähnen ihrer Haare bewegte.
Erst da begriff ich, dass sie tot war.
XXXVI
Es wurde ein trostloser Winter. Im Haushalt herrschte Trauer, und Linas Leichnam wurde im eiskalten Vorratsschuppen verwahrt, da der Boden hart wie Eisen war und sie erst zur Frühlingsschmelze begraben werden konnte.
Ich wusch sie, hüllte sie in ihr Lieblingskleid, verschränkte ihre Arme über der Brust und brachte das Kruzifix ihres Vaters um ihren Hals an, damit sie es mit ins Grab nehmen konnte. Trotz der bitteren Kälte im Schuppen, die ihren Körper konservierte, verbrachte Tibor viele Stunden bei ihr. Ich vermute,dass auch Damek sie dort mehrfach besuchte; wenngleich ihn niemand von uns kommen oder gehen sah, verrieten die Spuren im Schnee, dass jemand den Marsch aus dem Dorf angetreten hatte, obwohl wir keine Gäste erwarteten.
Die Ereignisse der vergangenen Monate hatten mich erschöpft, traurig und ohne Hoffnung für mich oder sonst jemanden zurückgelassen. Ich durchlebte jenen Winter wie eine der Maschinen, die man in den südlichen Städten sehen kann. Zwar erfüllte ich Tag für Tag meine Pflichten, aber ich glaubte, ich würde nie wieder lächeln können. Vor mir lag nichts weiter als ein schwarzer Frühling ohne Hoffnung auf Erneuerung.
Ich vermisste Lina mehr, als ich es zum Ausdruck bringen kann. Das Haus wirkte eigenartig erfüllt von ihrer Abwesenheit; als hätte sie lediglich einen Spaziergang unternommen und könnte jeden Augenblick zurückkommen. Ich konnte die Erwartung nicht abschütteln, in der nächsten Minute ihre mich rufende Stimme zu vernehmen oder sie um eine Ecke biegen zu sehen. Manchmal sah ich sie sogar wirklich – einen undeutlichen Schemen, der draußen unter der Zypresse stand oder aus einem Zimmer entschwand, das ich betreten hatte. Damit war ich nicht allein: Irli behauptete, sie in der Kammer gesehen zu haben, in der sie gestorben war, klar und deutlich. Und eines Morgens kam Tibor weiß vor Entsetzen die Treppe herunter und berichtete, als er erwachte, habe sich Lina über ihn gebeugt, und ihr Haar habe sein Gesicht gestreift.
Mich überraschte nicht, dass Lina, die im Leben so unruhig gewesen war, ein rastloser Geist sein sollte. Im Gegensatz zu den anderen in der Manse fürchtete ich mich nicht vor diesen Erscheinungen – vielleicht war ich zu dem Zeitpunkt über Furcht längst hinaus. Mich machten sie nur trauriger denn je zuvor. Ich empfand es als eine weitere Ungerechtigkeit, dass nicht einmal der Tod Lina Frieden bescherte.
Das Tauwetter setzte mit all seinen unfreundlichen Begleiterscheinungen ein, und ich hatte alle Hände voll zu tun, wasauf seine eigene Weise einen gewissen Trost spendete. Die erste Aufgabe bestand in Linas Beerdigung. Zunächst weigerte sich der Priester, sie in den Kirchenfriedhof aufzunehmen: er meinte, eine verdammte Seele wie sie sollte wie eine Selbstmörderin an einer Kreuzung beerdigt werden.. Aber Tibor lehnte sich mit einer so ungewöhnlichen Wut gegen ihn auf, dass er schließlich nachgab.
Ihr Grab befindet sich immer noch auf der Parzelle der Familie Kadar neben dem ihres Vaters. Ihr Ehename wurde vom Grabstein gelöscht, auf dem heute nur noch der Name LINA sowie die Daten ihrer Geburt und ihres Todes stehen. Allein Damek hätte solchen Anstoß an jenem Namen nehmen können, dass er sich die Mühe gemacht hätte, ihn wegzumeißeln. Und doch bleibt der wahre Urheber dieser Tat ein Rätsel, da der Grabstein zu einer Zeit verunstaltet wurde, als
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