Land des Todes
sein, und jede Blume würde zu meinem Gesicht?«
»Ich will keine Blumen«, gab Damek gebrochen zurück. »Ich will nur dich, Lina. Nur dich.«
Mit Erschrecken sah ich, dass sie ermattete, als hätte sie die Besinnung verloren, aber Damek drückte sie an seine Brust und knurrte mich an, als ich es wagte, mich zu nähern. Da dachte ich wahrhaftig, er sei ein wildes Tier, bar der menschlichen Sprache, und die Augen rollten in seinem Kopf, als litte er selbst Todesqualen. Dann setzte er sich auf das Bett und hielt sie weiter fest, und ich fürchtete in jenem Moment, dass sie wirklich tot war. Damek hörte auf nichts, was ich sagteund untersagte mir, mich zu nähern. Dabei gebärdete er sich so dermaßen zornig, dass ich aus Angst die Kammer verließ.
Einige Minuten lang saß ich unten und versuchte, mich zu sammeln, doch ich war so besorgt, dass ich alsbald wieder hinaufging. Damek saß wie zuvor mit Lina in seinen Armen auf dem Bett, aber sein Wutanfall schien verflogen. Stattdessen wirkte er todmüde.
»Sie hat das Bewusstsein verloren«, sagte er, doch das Sprechen schien ihm große Mühe zu bereiten. »Schau, sie atmet noch …«
»Aye«, bestätigte ich und versuchte, meinen Zorn zu bändigen. »Und nicht dank Ihnen, Herr Damek. Sie braucht Schlaf und Pflege. Nicht diese Aufregung und das Gerede vom Sterben, wenn sie einen weiteren Tag erleben soll. Ich denke, Sie müssen jetzt gehen.«
Er seufzte schwer, dann legte er Lina in ihr Bett und deckte sie so behutsam zu, als wäre sie ein kleines Kind. Ich eilte zu ihr und fühlte ihre Stirn: Die Haut war trocken und glühendheiß, der Körper schlaff.
»Was haben Sie getan?« Ich vergaß mich so sehr, dass ich brüllte. »Sie haben Sie umgebracht, Sie selbstsüchtiger Narr!«
Darob zuckte Damek mit einer dermaßen gequälten Miene zusammen, dass es mich erschütterte, und ich wünschte, die Worte nicht ausgesprochen zu haben. »Selbstsüchtig, Anna?«, stieß er hervor, ehe er eine Weile schwieg und beobachtete, wie ich ihr die Stirn wusch. »Sie war bereits im Sterben begriffen«, sagte er schließlich. »Ich sah es in dem Moment, in dem ich dieses Zimmer betrat … Ich habe schon viele Menschen sterben sehen. Ich kenne die Anzeichen.«
Ich verschloss die Ohren vor seinen Worten, wenngleich mich die bläulichen Schatten, die sich in Linas Antlitz schlichen, fürchten ließen, dass er recht haben könnte. Ich ergriff ihre Hand und tastete nach ihrem Puls, der sich als kaum mehr wahrnehmbar erwies, und da traten mir Tränen in die Augen.
Damek berührte mich so zurückhaltend am Arm, dass ich mich erstaunt umdrehte, und ich blickte ihm unverwandt ins Gesicht. Einen Moment lang sah ich darin den stoischen Jungen, den ich einst gekannt hatte, der unter dem Mantel der Teilnahmslosigkeit ungeahnte Pein verbarg, und ein Teil von mir wurde mitleidig. Er war weder ein Tier noch ein Dämon, nur ein Mensch, dessen gesamtes Wesen einer großen Wunde glich. Eine Wunde kann ungeheuerlich sein, aber das macht denjenigen, der mit ihr geschlagen ist, nicht unmenschlich.
»Es tut mir leid, Damek«, sagte ich leise, und seine Hand verstärkte ihren Griff krampfhaft.
» Du bist nicht selbstsüchtig«, gab er zurück. »Dir steht das Recht zu, über mich zu urteilen, was ich sonst niemandem einräume. Du besitzt ein Herz, und du besitzt Augen, die sehen. Das ist auf dieser Welt kostbar und rar, Anna, und merk dir, was ich sage, denn ich weiß es: Die meisten Menschen sehen und fühlen so wenig, dass sie genauso gut aus Stein sein könnten. Wenn ich selbstsüchtig bin, dann bin ich damit nicht allein.«
Ich erkannte die zugrundeliegende Wahrheit von Dameks Worten und kam nicht umhin, diese anzuerkennen, trotz allem, was er getan hatte. Er beugte sich vor und streichelte Linas Haar, dann küsste er ihre Stirn.
»Ich habe ihr gesagt, ich sei nichts ohne sie«, erklärte er. »Sie hat mir nie geglaubt, dabei war es genau so. Ich war nie stark: Sie war all meine Stärke. Wenn ich sie umgebracht habe, so kannst du dir sicher sein, dass ich jeden Tag dafür bestraft werde, den ich auf der Erde wandle. Ich bin jetzt ein toter Mann, Anna.«
Ich konnte nicht sprechen, deshalb nickte ich nur. Er küsste mich sanft auf den Kopf und verließ leise die Kammer. Danach sah ich ihn lange Zeit nicht mehr.
Tibor erfuhr nie etwas von Dameks Besuch; ob gut oder schlecht, wir alle fürchteten uns zu sehr davor, ihm etwas zu sagen, das seinen Kummer nur verschlimmern würde.
Lina erlangte das
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