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Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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trat der Master in Sicht – er hatte den Stallburschen Anweisungen erteilt. Linas Enttäuschung war wie weggeblasen, und sie stürmte in seine Arme. Er schwang sie empor, küsste sie, stellte sie wieder ab und verkündete: »Lina, hier ist ein Gefährte für dich.« Er wandte sich an den Jungen. »Damek, das ist meine Tochter Lina. Lina, das ist Damek, der von nun an dein Ziehbruder sein wird.«
    Unwillkürlich drehte ich mich meiner Mutter zu, die einen Moment lang außerstande war, ihre Verblüffung zu verbergen, und da wusste ich, dass sie keine Nachricht über dieses neue Mündel erhalten hatte. Lina starrte den Jungen an, genauso verdutzt wie wir anderen. »Aber ich will keinen Ziehbruder!«, rief sie schließlich.
    »Trotzdem hast du jetzt einen«, erwiderte ihr Vater, wobei in seiner Stimme ein grimmiger Tonfall mitschwang, der das Leuchten aus ihrem Gesicht fegte. »Wir sind den ganzen Tag geritten, sind müde, hungrig und nass, und ich will ins Haus. Wenn du uns also vorbeilassen würdest, Lina.«
    Meine Mutter, aufgeregt und vermutlich ein wenig wütend, führte die beiden Reisenden ins Haus, nahm ihnen die triefnassen Mäntel ab und ließ sie an einem Tisch Platz nehmen, auf den sie Tonschalen mit Suppe, einen Auflauf, frischesBrot und Bier in Krügen auftrug. Eine Zeit lang wurde nicht geredet, sondern hungrig gegessen. Wir hatten bereits in der Küche zu Abend gespeist, Lina mit dem Rest von uns. Mir wurde gestattet, den Master zu bedienen und ihm Bier nachzuschenken. Lina saß mit den beiden am Tisch. Schweigend und mit gewittergleicher Miene saß sie da und schleuderte dem Jungen feindselige Blicke zu. Der nahm jedoch keinerlei Notiz von ihr. Sie war eifersüchtig, weil er den ganzen Tag mit ihrem Vater verbracht hatte, und sie gab ihm die Schuld daran, ihr die Freude über seine Rückkehr verdorben zu haben.
    Nachdem sich der Master satt gegessen hatte, rief er den Haushalt ins Esszimmer, und wir hießen ihn daheim willkommen. Wie immer hatte er Geschenke für die Kinder mitgebracht – für mich ein kleines, aus Holz geschnitztes Reh, für Lina einen wunderschönen roten Schal, nach Art des Nordens mit eigentümlichen Mustern bunt bestickt. Lina hielt ihn sich an die Wange, und ihre gerunzelte Stirn glättete sich; sie liebte hübsche Dinge.
    »Nun denn«, begann der Herr des Hauses. »Ich möchte euch Damek il Haran vorstellen. Er wurde mir vom König in Pflege gegeben und wird Lina fortan ein Bruder sein. Er ist von königlichem Geblüt, dementsprechend als Adeliger und von euch allen freundlich zu behandeln.« An dieser Stelle bedachte er Lina mit einem strengen Blick; ihr düsteres Starren in Richtung Damek war ihm nicht entgangen.
    Der Junge musterte die Dienerschaft, ohne zu lächeln, und nickte abwesend, ohne ein Wort zu sagen. Lina sah ihn auch weiterhin finster an, doch er schenkte ihr keine Beachtung, was ihn in ihren Augen nur weiter herabstufte. Er war eindeutig kein Junge, den man auf Anhieb mochte, und er wirkte nicht allzu erfreut darüber, in unserem Haus zu weilen. In seinem Gesichtsausdruck lag etwas, das stark an Widerwilligkeit erinnerte. Sein stolzes Gebaren überschattete seine guten Eigenschaften: Er war in der Tat gutaussehend und vonkräftigem Körperbau, besaß dichte schwarze Brauen, dunkle Augen und einen sinnlichen Mund. Was ihm fehlte, war die blasse Haut eines Adeligen. Stattdessen besaß er den dunklen Teint der Hirten, was mich vermuten ließ, dass in seinen Adern gemischtes Blut floss.
    »Ich muss ihm ein Zimmer herrichten«, sagte meine Mutter. Deutlicher brachte sie ihre Verärgerung darüber, eine weitere Seele in einem bereits zu kleinen Haus unterbringen zu müssen, nicht zum Ausdruck. »Vielleicht können Lina und Anna wieder zusammenziehen.«
    »Sie sind zu alt, um sich ein Zimmer zu teilen«, widersprach der Master. »Lina ist in einem Alter, in dem sie beginnen muss, sich auf ihren Rang zu besinnen.«
    Meine Mutter unterließ es, zu erwidern, dass es noch ungehöriger wäre, Damek in Linas Zimmer einzuquartieren, ganz gleich, wie es um den Rang bestellt sein mochte, doch ich wusste, dass sie es dachte. Stattdessen seufzte sie, verkündete, dass er für heute Nacht in der Kammer schlafen müsse, die für gewöhnlich der Leibdiener des Masters bewohnte, und beließ es dabei. Am nächsten Tag räumte sie ein Zimmer leer, das sie gerade erst mit allerlei Habseligkeiten aus dem Anwesen im Süden vollgestopft hatte, schickte diese stattdessen zum Einlagern zur

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