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Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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erschrak und ihr Messer fallen ließ. Sie musste sogleich gewusst haben, um wen es sich handelte, musste sogar mit dem Besucher gerechnet haben. Mein Vater hielt sich auf den Feldern auf, der Master war noch nicht eingetroffen. Meine Mutter stand auf, strich ihre Röcke glatt und ging zur Tür. Sie verbot mir nicht, ihr zu folgen, was sie zweifellos getan hätte, wenn sie nicht so zerstreut gewesen wäre, also heftete ich mich an ihre Fersen und spähte um sie herum, als sie die Tür öffnete. Ich bin sicher, meine Augen waren so riesig wie Untertassen.
    Draußen stand ein groß gewachsener Mann, der auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Hochlandhirte wirkte. Er trug ein dickes Wams aus ungewaschener Wolle, ein Beinkleidaus Leder und über den Rücken geschlungen eine Flinte. Die einzigen Hinweise auf seinen Berufsstand bildeten der dicke Stab aus Schwarzdorn, den er trug, und der spindeldürre Knabe, der stumm neben ihm stand, so blass und dünn, dass ich glaubte, er müsse krank sein. Er war trotz des kalten Wetters in Lumpen gekleidet, durch die seine Haut weiß hervorlugte. Ich starrte das seltsame Paar an und ergriff die Hand meiner Mutter, wodurch sie erst bemerkte, dass ich da war. Sie griff hinter sich, um mir einen Klaps auf die Wange zu geben.
    »Seien Sie gegrüßt«, sagte sie. »Der Zauberer Ezra, richtig?«
    »Aye.« Der Mann hob den Kopf, sah ihr in die Augen, und ich spürte, wie meine Mutter zusammenzuckte. Ich konnte nicht aufhören, ihn anzustarren; sein Antlitz war rau und zerklüftet wie die Berge. Die Nase glich dem Schnabel eines Adlers und die Haut der Schale von Walnüssen, verwittert von Wind und Sonne. Eine große Narbe erstreckte sich von einer Seite des Kopfs über die Nase zur anderen, als hätte ihm jemand eine Klinge mitten durchs Gesicht gezogen. Die Augen erinnerten an schwarzen Obsidian – sie verrieten nichts. »Aye, der Zauberer Ezra«, bestätigte er. In seiner Stimme schwang kalte Geringschätzung mit, wenngleich er keine Miene verzog. »Wo ist dein Herr?«
    »Mein Herr ist noch nicht eingetroffen, wie Sie bestimmt wissen«, erwiderte meine Mutter. »Und mein Mann ist auf dem Feld.«
    »Willst du mich nicht hineinbitten, damit ich auf ihre Ankunft warten kann?«
    »Nein«, entgegnete meine Mutter mit zittriger Stimme. Ich hatte sie nie zuvor ängstlich erlebt, und die Erfahrung entflammte Furcht in meinem eigenen Herzen. »Das will ich nicht. Sie haben in diesem Haus nichts zu suchen.«
    Der Zauberer lächelte, allerdings gänzlich freudlos, und irgendwie wusste ich, dass meine Mutter die erste Runde gewonnen hatte. »Ich weiß, dass ihr das Hexenkind hier habt«, sagte er. »Sie ist eine Ausgeburt, und das geht mich sehr wohl etwas an.«
    »Sie wurde vom König begnadigt!«, stieß meine Mutter schrill hervor. »Sie dürfen dem Kind kein Haar krümmen, und das wissen Sie genau!«
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Erhebe dich nicht über das Brauchtum, Weib. Oder deinen Balg dort.« An der Stelle bedachte er mich mit einem derart giftigen Blick, dass ich bis ins Innerste erkaltete, als hätte sich das Blut in meinen Adern in Eiswasser verwandelt. Plötzlich erfüllte mich eine Heidenangst, und ich konnte keinen Muskel rühren. Mit pochendem Herzen erwiderte ich seinen Blick wie ein Kaninchen den eines Fuchses, bis er sich von mir abwandte und mich freigab. »Ich bin lediglich gekommen, um eine Botschaft zu überbringen. In dieser Angelegenheit herrscht zwischen dem König und den Zauberern Waffenstillstand, ja. Sorgt dafür, dass dieser Waffenstillstand eingehalten wird, sonst erfolgt die Antwort in Blut, wie es von Anfang an hätte sein sollen.«
    »Der Waffenstillstand wird eingehalten, so es in meiner Macht steht«, gab meine Mutter zurück. »Und Sie dürfen mich und die meinen nicht verfluchen.«
    »Es steht dir nicht zu, mir zu sagen, was ich darf und was nicht«, schalt sie der Zauberer. »Das ist eine Sache des Brauchtums. Du tätest gut daran, dir das einzuprägen.« Damit machte er auf dem Absatz kehrt und stapfte davon, ohne zurückzuschauen. Der Knabe stolperte hinter ihm her.
    Schwer atmend lehnte sich meine Mutter gegen den Türpfosten und sah ihm nach, bis er außer Sicht war. Danach tadelte sie mich rundheraus dafür, dass ich ihr zur Tür gefolgt war. Ich erwiderte kein Wort, weil ich soeben zu Tode erschreckt worden war und nicht wusste, weshalb. Als wir noch im Süden lebten, hatten einige meiner Freunde über die Zauberer des Nordens gespottet und

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