Land des Todes
drängten sich die Leute in ihren besten Kirchgangsgewändern, die für meine an die Eleganz des Südens gewöhnten Augen derb und sonderbar anmuteten. Im Norden gilt eine Ortschaft ohne ihren Lord als aufgegebene Ortschaft. Ganz gleich, welcher Skandal der Ehe des Masters, seiner toten Gemahlin und in noch höherem Maße seiner Tochter mit den Hexenaugen anhaftete: Blut blieb Blut, und in diesem Land zählte Blut mehr als alles andere.
Ich begegnete zum ersten Mal meinen Großeltern, Onkeln und Tanten. Meine Vettern, die meiner Ansicht nach wie wilde, ungekämmte Kreaturen aussahen, warfen mir düstere Blicke zu und zeigten mir hinter dem Rücken der Erwachsenen die Zunge. Was mich dazu bewog, es ihnen gleichzutun, wodurch ich mir einen Klaps von meinem Vater einhandelte. Widersinnigerweise hatte dieser die Wirkung, mich aufzumuntern: Anscheinend unterschieden sich die Kinder im Norden kaum von den Kindern im Süden, ungeachtet ihrer schlichten Kleider und schlammigen Stiefel. Ich hielt wachsam Ausschau nach den Hochlandzauberern, von denen ich viel gehört hatte, und verspürte Enttäuschung, als ich niemanden erspähte, der im Mindesten wie ein Zauberer aussah. Dafür erwies es sich als höchst unterhaltsam, Lina zu beobachten, die mir mit ihrer Dreistigkeit regelrecht den Atem verschlug.Sie schenkte den Kindern keinerlei Beachtung und begrüßte stattdessen die Würdenträger des Ortes mit der Erhabenheit einer hochwohlgeborenen Lady aus dem Süden. Dabei gab sie sich dermaßen ernst, dass niemand zu lächeln wagte. Schon im Alter von neun Jahren kam Linas Entschlossenheit einer Art Zauber gleich und brachte andere dazu, sie so zu sehen, wie sie sich selbst sah. Es gab reichlich Gedränge unter der Bauernschaft, da jeder einen Blick auf die als Hexe geborene Tochter des Masters werfen wollte. Lina wusste das durchaus und schürte es noch zusätzlich.
Nach den nötigen Ansprachen, die für meinen Geschmack unnötig lang waren, begaben wir uns zum Roten Haus. Ich glaube, ich verliebte mich deshalb auf Anhieb in das Gebäude, obwohl es sich als vergleichsweise klein erwies, weil es mich an das Heim erinnerte, das wir hinter uns gelassen hatten. Der Großvater des Masters hatte es errichtet, um seine Gemahlin aus dem Süden zu erfreuen, eine zarte Frau aus der Stadt, die, so erzählt man sich, in der rauen Umgebung der Ebenen rasch verwelkte und nach nur wenigen, kurzen Jahren von der Schwindsucht hingerafft wurde. Als die Krankheit sie plagte, erwarb er das Anwesen im Süden und zog in der Hoffnung dorthin, sie würde sich in der alten Heimat wieder erholen, doch zu dem Zeitpunkt war es bereits zu spät. Manch einer tuschelt nach wie vor, dass damals die Fäulnis in die Familie Kadar Einzug hielt. Mit Verlaub, die Menschen im Schwarzen Land trauen den Bewohnern des Südens nicht über den Weg; sie betrachten sie als unredlich, schwach und unmoralisch, da sie nicht nach dem Brauchtum leben.
Der Vater meines Masters tat viel, um den Ruf der Familie wiederherzustellen, und führte ein unauffälliges Leben. Er heiratete eine hartgesottene Frau aus dem Norden, die den Haushalt mit eiserner Hand regierte und nichts mit südlichem Firlefanz zu schaffen hatte. Sie verlegte den Hauptsitz des Haushalts in die Manse, wo Damek nun lebt, behielt jedoch die Konten im Auge, und obwohl sie den Süden nichtschätzte, verkaufte sie das dort befindliche einträgliche Anwesen nicht.
Meine Familie kam also im Roten Haus unter und kümmerte sich um Lina, und dort wohnte auch der Master. Der Rest des Haushalts zog in die Manse, um das Anwesen von dort aus zu verwalten. In jenen Tagen herrschte zwischen den beiden Haushalten ein reges Kommen und Gehen.
Einen Unterschied zu unserem Heim im Süden bemerkte ich auf Anhieb, und er führte mir deutlicher als alles andere vor Augen, dass wir nun an einem Ort unbekannter Gefahren weilten: Jede Schwelle war mit Hufeisen beschlagen, und über jedem Fenster hing ein Vogelbeerzweig. Dies diente dazu, wie meine Mutter mir erklärte, böse Geister fernzuhalten, und die Art, wie sie es sagte, jagte mir einen Schauer über den Rücken.
Ich brauchte nicht lange zu warten, bis ich zum ersten Mal einen Zauberer zu Gesicht bekam. Am nächsten Morgen hämmerte es an der Tür, als schlüge jemand mit einem Stock dagegen, was tatsächlich der Fall war. Ich befand mich mit meiner Mutter und der Köchin in der Küche und schälte Rüben für das Mittagessen. Ich erinnere mich noch, dass meine Mutter
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