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Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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Schwierigkeiten geraten.«
    Ich bedauerte meine Aufdringlichkeit bereits, aber es war zu spät, um mich noch zurückzuziehen. Lina warf mir einen finsteren Blick zu, duldete aber, dass ich hinterdrein trottete. Als wir die Wiesen erreichten, die zum Fluss führten, verfiel sie in Laufschritt. Damek warf mir einen kurzen Blick über die Schulter zu, der nicht ohne Mitgefühl zu sein schien, dann rannte er hinter ihr her.
    Ich stapfte in großem Abstand hinterher, verschwitzt und unbehaglich. Am Fluss holte ich sie letztlich ein. Lina schwang mit dem Rücken zu mir von einem Weidenast, während Damek auf dem Boden saß und zu ihr aufschaute. Mit einem Anflug von Neid erkannte ich, dass aus seinen Zügen ausnahmsweise keine Befangenheit sprach. Er starrte Lina mit demselben inbrünstigen Ausdruck der Verehrung an, wie es manchmal alte Frauen taten, die in der Kirche vor der Madonna beteten. Noch während mir dieser unzusammenhängende Gedanke durch den Kopf ging, spürte er meinen Blick und wandte das Gesicht ab, und ich sah, wie sich Röte über seinen Nacken ausbreitete. Mit einem Mal dämmerte mir die unangenehme Erkenntnis, dass ich mich in einen Bereich drängte, in dem ich nicht erwünscht war; es war, als hätte icheinen flüchtigen Blick auf etwas erhascht, das nicht für meine Augen bestimmt war. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich hatte sie nichts Falsches tun sehen; was ich beobachtet hatte, war völlig unschuldig. Dennoch fühlte ich mich deplatziert und verlegen, als wäre ich während einer bedeutenden Zeremonie in eine stille Kirche geplatzt.
    Lina senkte sich von dem Baum herab und drehte sich mir zu.
    »Siehst du«, meinte sie. »Ich hab dir ja gesagt , dass du keinen Spaß haben würdest!«
    »Hab ich wohl!«Ich setzte mich, um zu verschnaufen. »Vielleicht könnten wir jetzt ein Haus bauen. Du kannst die Herrin sein.« Trotz meiner Bestürzung wollte ich nicht zugeben, dass Lina recht hatte. Und ich wollte in die Welt unserer einstigen Beziehung zurückkehren, ungetrübt von den fremden Tiefen, die sich kurz vor mir aufgetan hatten.
    »Manchmal bist du so langweilig, Anna«, warf mir Lina vor. »Was wollen wir hier mit Häusern? Sieh dir die Berge an!« Sie zeigte in die Ferne, wo sich die Schwarzen Berge dunstfrei vor dem Horizont erhoben, ihre Hänge in ein sattes Rotblau getaucht. »Sind sie nicht wunderschön? Sie sind genau wie Damek.«
    »Du meinst, er ist … rotblau?«, erwiderte ich, verwirrt von ihrer Schwärmerei, während Damek ihr einen zornigen Blick zuwarf. Ich vermute, ihre Worte stellten einen Vertrauensbruch zwischen ihnen dar, denn sie errötete leicht.
    »Nein, Dummerchen. Wenn du es nicht sehen kannst, werde ich es dir ganz gewiss nicht erklären.«
    Wenig später verkündete Lina, dass ihr langweilig sei, und wir gingen nach Hause. Wir waren gerade so lange fort gewesen, dass uns niemand vermisst hatte, und als Lina und Damek das nächste Mal verschwanden, achteten sie darauf, mich zu meiden. Ich war davon geheilt, mich ihnen anschließen zu wollen, und ich redete mir ein, dass es mir gleichgültig sei, was natürlich nicht stimmte.
    Kurz nach Linas Annäherung an Damek kehrte der Master zurück nach Hause. Wäre er heimgekommen, als Lina den Jungen noch quälte, wären die Folgen unvorstellbar gewesen, und wir alle – ausgenommen Lina selbst – verspürten Erleichterung über die abgewendete Katastrophe. Nie bin ich jemandem begegnet, der ein solches Talent dafür besaß, das eigene Unglück heraufzubeschwören wie Lina. Trotz seiner Gunst hätte ihr Vater ihre Grausamkeiten gegen Damek nicht dulden können, und schon die geringste Missbilligung seinerseits besaß die Macht, sie in tiefste Verzweiflung zu stürzen. Und eine verzweifelte Lina inmitten der extremen Lage, die sie unnötigerweise selbst herbeigeführt hatte, war eine Vision, die sich niemand von uns ausmalen wollte. Ich weiß, dass meine Mutter schon damals um Linas Gesundheit, vermutlich auch um ihr Seelenheil fürchtete; denn trotz all der Schwierigkeiten, die ihr Lina bereitete, lag sie ihr am Herzen wie ihr eigenes Kind.
    Und so schützten wir sie alle. An seinem ersten Tag zu Hause bemerkte der Master die verblassenden blauen Flecken an Dameks Arm und erkundigte sich stirnrunzelnd, ob der Junge misshandelt worden sei. Wir alle erschraken und wussten nicht, wie wir darauf antworten sollten, ohne zu lügen. Aber Damek leugnete unverwandt jegliche Misshandlung und behauptete, er hätte sich die Blessuren

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