Land des Todes
durch einen Sturz beim Spielen zugezogen. Der Master fixierte Damek argwöhnisch, und ich war sicher, dass er ihm nicht glaubte, doch da alles in Ordnung zu sein schien, verzichtete er darauf, weiter nachzubohren.
Diesmal blieb er zu Linas Entzücken den gesamten Sommer zu Hause. Er verbrachte viel Zeit in seinem Arbeitszimmer, wo er die Konten prüfte, und wenn er herauskam, war er oft blass vor Erschöpfung. Ich habe die Wirtschaftsbücher noch und habe mir die aus jenem Jahr einmal angesehen, aus blanker Neugier, wie ich gestehen muss. Das Anwesen im Süden hatte unter frühem Frost gelitten, auf den ungewöhnlichheftige Stürme folgten, was die Weingärten verheert hatte. Zudem war unter den Rindern die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen. Der Großteil des jährlichen Familieneinkommens stammte von jenem Anwesen, und ich glaube, dass diese finanziellen Rückschläge die Erklärung dafür sind, dass der Master zurückkehrte. Aus den Konten ging nämlich ebenfalls hervor, dass er, wenn er nicht auf dem Plateau weilte, ein Leben von beträchtlicher Extravaganz frönte, sodass er in jenem Jahr seine Ausgaben einschränken musste. Wir glaubten damals, dass seine ständigen Reisen damit zu tun hatten, was wir ungewiss als »Geschäfte« bezeichneten, doch die schlichte Wahrheit lautet, dass der Master keine große Liebe für das Schwarze Land empfand. Es waren Bande des Blutes, der Ehre und des Geldes, die ihn dort hielten, und jene Bande, die er nicht kappen konnte, waren eng mit Fäden des Widerwillens oder sogar Hasses verwoben. Natürlich verstand ich das erst viel später. Ich glaube, nicht einmal meine Mutter, seine getreueste Dienerin und vermutlich einer der wenigen Menschen außer Lina, die ihn wirklich liebten, wusste das über ihn.
Als der Frühling in den Sommer überging, ließen die Regenfälle nach, und es war, als würde ein schwerer Deckel von unseren Köpfen gehoben, auf dass wir uns aufrichten und frei atmen konnten. Zu dieser Jahreszeit präsentierte sich das Plateau am schönsten. Ich weiß, dass man es gemeinhin für einen grimmigen, hässlichen Ort hält, doch für mein voreingenommenes Auge besitzt sogar sein Winterkleid eine wilde Pracht. Aber wenn das Gras in seinen unzähligen Farbtönen mit in der Sonne dösenden Wildblumen übersät ist und sich die Berge in der Ferne wie freundliche Götter erheben, die grauen Hänge rotblau gefärbt und die Gipfel in weiße Wolkenschwaden gehüllt, dann würde wohl jeder den Namen Schwarzes Land für eine unzutreffende Bezeichnung halten. Dann besteht dieser Ort allein aus Farben und Licht. Die Luft ist von besonderer Klarheit, die den Rand jedes Grashalmsbetont und allen Farben einen matten Schimmer verleiht, sodass jedes Ding von innen zu leuchten scheint. Es gibt auf der Welt keinen vergleichbaren Ort.
Trotz all der Erleichterung, die mit dem Sonnenschein einherging, und der Harmonie im Haus stellte sich in jener Zeit auch eine fast unmerkliche Unruhe ein, die im Nachhinein betrachtet wie ein Omen anmutet. Der Zauberer Ezra kam zum Anwesen, und wenngleich er nicht über die Schwelle gelassen wurde, sprach der Master eine Weile mit ihm. Ich polierte gerade den Tisch im Empfangszimmer und konnte nicht anders, als die beiden wie gebannt zu beobachten, stets bereit, mich zu ducken, sollte einer von ihnen in meine Richtung blicken. Was gesagt wurde, konnte ich nicht hören, aber beide wirkten angespannt und zornig. Ihre Stimmen wurden immer lauter, bevor sich der Zauberer schließlich abwandte und den Pfad zurück hinunterstapfte, sein armes kleines Stummchen im Gefolge.
Ich vermutete, dass es bei dem Streitgespräch um Lina ging, die ahnungslos von dem Skandal war, den ihre Anwesenheit verursachte. Selbst wenn sie keine Hexe gewesen wäre, ihr Verhalten war ungeheuerlich. Wenn sie keinen Unterricht oder eine andere Aufgabe hatte wie zum Beispiel Gobelinstickerei – eine Fertigkeit, die meine Mutter als unerlässlich für eine feine Dame betrachtete –, tollte sie mit Damek über das Anwesen und kehrte regelmäßig mit zerrissenem Kleid und zerzaustem Haar zurück nach Hause. Mittlerweile kam sie in ein Alter, in dem ein solches Verhalten als dirnenhaft galt und Unehre über den jeweiligen Haushalt brachte. Sogar der Master, der Linas Betragen im toleranteren Süden noch mit Nachsicht erduldet hatte, wurde zunehmend beunruhigt: Im Norden ist derlei Gebaren nicht nur unklug, sondern gefährlich.
Die Hauptgefahr ging natürlich von Ezra aus. Wie die
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