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Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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aufgehenden Teig.
    Am folgenden Tag kam der Zauberer Ezra aus seinem Haus, allerdings mit einem solchen Ausdruck im Gesicht, dass niemand wagte, ihm Fragen zu stellen. Er forderte von der Herberge einen Sack mit Proviant, dann marschierte er mit seinem Stab und seinem Stummchen auf der Straße davon, die zu den Bergen führte.
    Zwei Wochen lang ward er nicht mehr gesehen. In dieser Zeit rückte die Unruhe unter den Erwachsenen zugunsten unserer eigenen kleinen Sorgen in den Hintergrund, und wir vergaßen die Angelegenheit größtenteils.
IX
    Die Wahrnehmung eines Kindes ist lückenhaft und oftmals unzutreffend, und in den folgenden Wochen ereignete sich viel, was ich erst viel später richtig verstand.
    Wie ich bereits erwähnte, war ich in jenem Sommer sehr glücklich: Mein Unterricht erschloss mir eine neue Welt, ich fand Freunde im Dorf und vermisste meine alte Heimat nicht mehr so schmerzlich. Lina und Damek blieben einander nah – was für die Stimmung im Haushalt eine große Veränderung bedeutete – und verkörperten die Königin und den König unseres kleinen Reichs. Im recht hellen Zwielicht der langen Abende rannten wir umher wie junge Ziegen, tobten herum und zankten uns bisweilen ein wenig.
    Wie schon im Süden gebärdete sich Lina auch hier als die Wagemutigste von uns allen. Der Einzige, der ihren Anwandlungen Einhalt zu gebieten vermochte, war Damek. Brachte er einen seltenen Einwand gegen einen ihrer Vorschläge vor, rümpfte sie zwar die Nase, gab aber nach. Die meisten unserer Spiele waren harmlos, manchmal jedoch trieben wir Dinge, bei denen mir heute die Haare zu Berge stehen.
    Einige Meilen vom Dorf entfernt befand sich eine längst erschöpfte Zinnmine, die zu unseren Lieblingszielen gehörte. Dies nicht zuletzt deshalb, weil man uns gewarnt hatte, uns von dort fernzuhalten. Wir spielten zwischen den verfallenden Mauern und zündeten in dem Steinkamin Feuer an, aber was uns am meisten faszinierte, war der Schacht: ein schwarzes, quadratisches Loch, das geradewegs in die Erde hinabreichte. Einst hatte es dort eine Leiter gegeben, von der allerdings nur einige rostige Eisennägel in der Wand des Einstiegs übrig waren. Darunter prangten rote Schlieren auf dem Fels.
    Manchmal lagen wir rings um den Rand und versuchten, zu erspähen, wie tief das Loch wirklich war. Das Licht versickerte rasch in dem Schacht und ging in eine unergründliche Schwärze über. Hinunterzuschauen bescherte mir immer ein flaues Gefühl im Magen, deshalb wagte ich mich nie zu nah an die Kante. Andere jedoch waren mutiger und schoben die Köpfe weit über den Rand, um hinabzuspähen.
    »Käme man unten an«, meinte Damek, »könnte man hinaufschauen und selbst untertags Sterne sehen.«
    »Man könnte gar nichts sehen, weil man sich den Schädel aufgeschlagen hätte und tot wäre«, widersprach ein anderer Junge.
    »Ich wette, da unten liegen Gebeine«, sagte Lina. »Menschliche Schädel und Tierknochen. Oder vielleicht ist das Loch endlos, und jeder, der hineingestürzt ist, fällt noch immer.«
    Die Vorstellung ließ mich noch ein wenig weiter von dem Einstieg zurückrobben.
    »Ich wette, ich könnte etwas erkennen, wenn ich näher herankäme«, fuhr Lina fort. »Warum haltet ihr mich nicht an den Füßen, damit ich einen besseren Blick nach unten werfen kann?«
    Ich stieß vor Entsetzen einen spitzen Schrei aus, aber meine Spielgefährten hielten das für eine großartige Idee. WederLina noch Damek oder sonst jemand achtete auf meine Einwände. Nach kurzer Besprechung wurde beschlossen, dass Damek Linas Fußgelenke halten und sie kopfüber in den Schacht hinablassen sollte. Das einzige Zugeständnis an Sicherheit bestand darin, dass jemand Dameks Mitte umfasst halten sollte, für den Fall, dass er abrutschte.
    Ich stand auf, verfolgte die Angelegenheit mit den Knöcheln meiner Hände im Mund und fürchtete, dass sich jeden Moment ein grauenhafter Unfall ereignen würde. Linas Stimme trieb herauf und hallte im Schacht wider. »Könnt ihr mich nicht tiefer hinablassen?«, fragte sie.
    Die Jungen verlagerten leicht das Gewicht. Ihre Füße rutschten auf dem Boden. Dameks Schultern spannten sich vor Anstrengung an.
    »Du bist zu schwer«, stieß er keuchend hervor. »Kannst du nichts sehen?«
    »Nein«, antwortete sie. »Es sieht alles gleich aus, nur dunkler und kälter. Ich glaube, das Loch hat überhaupt keinen Boden.«
    Damek verkündete, dass er Lina fallen lassen würde, wenn sie jetzt nicht heraufkäme, und dann

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