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Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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Vater verlieren, und binnen eines Jahres würden ihre beiden ältesten Söhne – von denen der Erstgeborene gerade die Hochzeit vorbereitete – tot sein. Ihr Jüngster, dem damals gerade die ersten Barthaare sprossen, würde töten müssen, sobald er das Mannesalter erreichte, und anschließend seinerseits getötet werden. In weniger als fünf Jahren würden alle Männer der Familie von der Vendetta verschlungen worden sein. Einige würden sich vielleicht in den Schutz der Odu flüchten und nie wieder im Tageslicht wandeln können. Für einen Mann wie Petar Oseku war dies jedoch keine gangbare Alternative, zumal er dadurch das Verhängnis seiner Söhne nur beschleunigen würde, die dann die Pflicht zur Rache selbst übernehmen müssten. Und wie sollten sie den Blutzoll bezahlen? Sie waren zwar nicht arm, allerdings auch keineswegs eine reiche Familie. Bis alle Söhne meiner Tante tot wären, würden sie und ihre Töchter wahrscheinlich kein Haus mehr besitzen, in dem sie trauern konnten, und wären auf die Milde anderer angewiesen.
    Doch damit nicht genug. Sobald ihre Familie zerstört wäre, würde die Pflicht auf den nächsten männlichen Blutsverwandten übergehen, bis der Fluch die Männer der nächsten Familie ausgelöscht hätte, und dann der nächsten. Es gab niemanden im Dorf, der nicht mit dem Haus Osekus verwandt war, und sei es nur in entfernter Vetternschaft. Die Blutrache würde durch alle Blutlinien unseres Dorfes wüten und in ihrem Gefolge eine trostlose Stätte voll Gräbern hinterlassen. Und neben den Totenmalen würden mit leerem Blick und vor Gram verhärteten Zügen die Frauen stehen und in ihren aschgrauen Lumpen ob des kalten Windes zittern.
    Deshalb weinte meine Tante leise in sich hinein, weinte um sich selbst und jeden, den sie liebte. Ihr Gemahl setzte sich neben sie, das Gesicht nach wie vor der Wand zugekehrt.
    Sie sagten nichts zueinander, weil es nichts zu sagen gab.
X
    Die vierzig Tage der Waffenruhe verstrichen, und Petar Oseku hatte es eindeutig nicht eilig damit, seinen Mann zu töten.
    Wie es das Brauchtum verlangte, hängte seine Frau dasLaken, auf dem Surinams blutverschmierter Leichnam gelegen hatte, aus dem obersten Fenster ihres Hauses. Als ständige Mahnung an die Pflicht flatterte es noch im Wind, als sich das Jahr dem Winter zuneigte. Ich bekreuzigte mich jedes Mal, wenn ich daran vorbeiging: Das Laken glich einem Leichentuch, und seiner klatschenden Stimme in der bitterkalten Luft haftete ein unheimlicher Klang an.
    Um Rache zu üben, hatte mein Onkel Zeit, bis die Blutspuren verblassten. Die dunklen, geronnenen Klumpen wurden aus dem Laken gespült, und die Flecken verblichen erst zu einem Braun, dann zu einem immer helleren Rostrot, doch Petar Oseku zog noch immer nicht los. Gleichzeitig war er keineswegs untätig. Er trieb Geld für den Blutzoll auf; als gleichermaßen vorausschauender wie sparsamer Mann traf er Vorkehrungen, um nicht nur für die Begleichung seiner eigenen, sondern auch für die Geldschuld seiner Söhne zu sorgen. So verkaufte er einen Obstgarten mit Mandelbäumen – seinen wertvollsten Besitz; ferner einige Familienschätze, darunter eine kleine, wie ein Tempel gestaltete Uhr mit winzigen goldenen Engeln, die an jeder Ecke Posaunen bliesen. Den Erlös legte er beiseite. Auch wenn sein Haushalt seines bescheidenen Wohlstands beraubt wäre, würden seine Gemahlin und seine Töchter zumindest nicht heimatlos umherirren müssen.
    Mittlerweile hatte der Winter die Ebenen fest im Griff, und schon bald würde Schnee die Straßen verhüllen. Der Winter galt als einer Waffenruhe gleichwertig, da er das Reisen fast unmöglich machte. Streng genommen hätte Petar Oseku die Blutrache mit aller möglichen Geschwindigkeit vollziehen müssen, aber weil es nicht sein eigenes Blut war, das er rächte, sah ihn niemand schief an, als er sich damit Zeit ließ, nicht einmal der Zauberer Ezra.
    Die Schneefälle setzten in jenem Jahr früh ein, Vorboten eines Winters mit wilden Stürmen, begleitet von langen, eisigen Nächten. Es dauerte über zwei Monate, bis die Straßenwieder passierbar wurden, und in jener Zeit schloss Petar Oseku seinen Frieden mit Gott. Sobald die Frühlingsschmelze begann, schulterte er seine Flinte und brach als pflichtbewusster Mann des Nordens auf, um die Ehre seiner Familie und seines Dorfes zu bewahren.
    Nachdem er Lovro erschossen hatte, reiste er unverzüglich zum Palast des Königs, um den Blutzoll zu bezahlen. Als er nach Hause

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