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Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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Dorf vor Unruhe.
    Wer war Surinam? Wo lebten seine Angehörigen? War er in eine Vendetta verstrickt? Warum sonst sollte jemand einen so harmlos wirkenden, unbedeutenden Mann ermorden? Oder vielleicht war er nicht das, was er zu sein schien: Einige mutmaßten, er könnte aus Skip kommen, einer nahegelegenen Ortschaft, mit der uns eine uralte Feindschaft verband – in jenem Fall war mit bösem Treiben zu rechnen. Andere munkelten, er sei ein Mitglied einer Räuberbande gewesen undOpfer einer ihrer Fehden geworden. Darob überprüften alle ihre Häuser und Schuppen, doch es schien nichts gestohlen worden zu sein. Die Angelegenheit war höchst rätselhaft, und die alten Frauen verkündeten, wir würden alle in unseren Betten ermordet werden, und verriegelten ihre Türen.
    Als an jenem Abend das lange, sommerliche Zwielicht über den Ebenen Einzug hielt, wurde der Zauberer Ezra an dem Grenzstein gesehen, und zur Neugier des Dorfes gesellte sich schlagartig Furcht. Der alte Yuri, der ihn aus der Ferne erspäht hatte, als er seine Ziegen für die Nacht nach Hause trieb, wusste zu berichten, dass der Zauberer Ezra sich zum Boden gebeugt, an den Blutflecken geschnuppert und sich anschließend etwas von dem Blut – oder von der Erde der Stätte des Todes – auf die Stirn geschmiert hatte. Andere hatten beobachtet, wie der Zauberer durch das Dorf zu seinem Haus geschritten war, in das er sich einschloss. Als Fatima unter einem Vorwand an seine Tür klopfte, öffnete nur das Stummchen und bedeutete ihr, dass sein Meister nicht gestört werden dürfe. Danach wurde Ezra zwei Tage lang nicht mehr gesehen, wenngleich sein Stummchen losgeschickt wurde, um ihm Raki und Essen zu bringen. Und diese zwei Tage lang schwiegen die Dörfler, als wagten sie nicht einmal, ihre Ängste zu flüstern, weil sie fürchteten, der Teufel könnte es hören und herbeikommen.
    Am nächsten Tag sprachen wir im Klassenzimmer über den Mord. Lina hatte davon gehört, dass der Zauberer Ezra die Stelle aufgesucht hatte, an der Surinam gestorben war. »Was hat das mit ihm zu tun?«, fragte sie verächtlich. »Zauberer stecken ihre Nasen immer dort hinein, wo sie nicht erwünscht sind.«
    »So solltest du nicht über Zauberer reden!«, stieß ich empört, wenngleich beeindruckt über ihre Kühnheit hervor.
    »Die jagen mir keine Angst ein!«, erwiderte Lina. »Nur, weil du ein Angsthase bist, muss das nicht für jeden anderen gelten.«
    Ein kurzes Schweigen setzte ein, dann schaute Damek auf, der bis dahin finster in sein Buch gestarrt hatte. »Wenn es eine Vendetta ist, dann ist es eine Angelegenheit der Zauberer«, sagte er.
    »Also, ich verstehe immer noch nicht, was das mit dem Zauberer Ezra zu tun hat«, gab Lina zurück. »Es ist nicht unsere Vendetta. Obwohl – wäre es nicht aufregend, wenn es so wäre?« Mit funkelnden Augen schaute sie auf. »Hier passiert nie etwas Interessantes.«
    Noch niemand hatte diese Möglichkeit laut ausgesprochen, aber plötzlich verstand ich, weshalb ich an jenem Morgen zum Schweigen gebracht worden war, als ich meiner Mutter eine Frage über den Mord und darüber gestellt hatte, warum die Leute einander Seitenblicke zuwarfen, als verständigten sie sich in einer Geheimsprache. Jeder fürchtete, dass es doch unsere Vendetta sein könnte. Plötzlich schlug mir das ungute Gefühl einer Vorahnung auf den Magen, und ich vermeinte einen Moment lang sogar, ich müsste mich übergeben.
    »Nein, Fräulein Lina, eine Vendetta hier wäre ganz und gar nicht interessant«, widersprach Herr Herodias, der unserer Unterhaltung gelauscht hatte, wobei sein Mund eine schmale, missbilligende Linie bildete. »Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie jetzt den unregelmäßigen Verben auf der Seite vor Ihnen Beachtung schenken könnten.«
    Danach hieß es nur noch Latein und Griechisch, und meine Beklommenheit löste sich in der Konzentration auf, die mir der Unterricht abverlangte. Später, als sich die Kinder des Dorfes nach dem Abendessen versammelten, um während des langen Abends zu spielen, plauderten wir beiläufig über den Toten, doch niemand wusste etwas Neues zu berichten. Nachdem Lina verkündet hatte, es wäre viel besser, wenn der Mord Teil eines Räuberkriegs statt einer langweiligen alten Vendetta wäre, beschlossen wir, selbst Räuber zu spielen. Schließlich waren wir jung und unbedacht: Wenngleich die Ereignisse einen Eindruck bei uns hinterließen, verblasstedieser so rasch wie die Fingerlöcher in einem

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