Land des Todes
wie Aussätzige behandelt werden. Hier ist dem nicht so: Sie verfügen über die Würde ihres Namens und ihres starken Körpers, und selbst, wenn ein Dorf ihnen keine Arbeit bieten kann, gebietet es die Ehre, dass man ihnen eine Unterkunft und eine Mahlzeit gewährt, bevor sie weiterziehen.
Spät in jenem Sommer, in einer klaren, mondlosen Nacht, als die Sterne so hell leuchteten, dass sie Schatten warfen, kam ein nur als Surinam bekannter Mann nach Elbasa und suchte Arbeit. Er war für uns ein Fremder: Viele Wanderarbeiter wie Surinam trafen alljährlich vor der Ernte ein und blieben eine Nacht, eine Woche oder einen Monat, bevor sie weiterzogen, er jedoch gehörte nicht zu unseren regelmäßigen Besuchern. Wir hatten bereits unser volles Kontingent an Arbeitern, und er wurde zum Haus meines Onkels geschickt, wo er eine Mahlzeit und den Dachboden als Unterkunft für die Nacht erhielt. Früh am nächsten Tage, als die Morgendämmerung das Plateau erhellte, reiste er ab. Später an jenem Vormittag fand ein Hirtenjunge seinen zusammengesackten Leichnam neben der Straße. Auf ihn war zweimal geschossen worden, zuerst in den Bauch, dann durch das rechte Auge.
Er lag neben dem Grenzstein des Dorfes, doch wir Kinder, die vor allen anderen davon erfuhren, dachten nicht darübernach, was das bedeutete. Die meisten von uns hatten in ihrem kurzen Leben bereits Leichen gesehen, aber nur wenige einen Erschossenen, und es kam für uns einem Ereignis gleich. Voll banger Faszination starrten wir die totenbleiche Haut an, die dunkle Lache geronnenen Blutes, die sich unter dem Leichnam gebildet hatte, die rosa Masse, die aus dem aufgeplatzten Schädel ausgetreten war. Lina war vor Aufregung ganz blass: Mit leuchtenden Augen und geröteten Wangen beugte sie sich hinab, um den Körper aus der Nähe zu betrachten. Dabei hielt sie Dameks Hand so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Er sieht aus wie ein totes Schwein«, befand eines der Kinder.
»Nein, tut er nicht«, widersprach ein anderes verächtlich. »Einem Schwein schneidet man die Kehle durch. Man bringt nicht seinen Kopf zum Explodieren.« Der Junge ahmte nach, wie Gehirn aus einem Schädel spritzte.
»Er sieht einfach tot aus«, meinte Damek. Er allein wirkte unbeeindruckt, ja sogar angewidert. »Das ist alles. Ich weiß gar nicht, wieso ihr alle derart aus dem Häuschen seid. Es ist nichts besonders daran, tot zu sein. Ich frage mich eher, wer ihn erschossen hat.«
Lina sah Damek so vorwurfsvoll an, als hielte sie ihn für einen Spielverderber. Er starrte finster zurück, und in seiner Miene schien etwas zu liegen, das an Geringschätzung erinnerte. Dann zog er die Hand aus ihrem Griff und stapfte davon. Verdutzt schaute Lina ihm nach, dann drehte sie sich mir zu und zuckte die Achseln. Sie hob einen Stock auf und stupste damit, ungeachtet meiner Bemühungen, sie davon abzuhalten, den Leichnam an. Der rollte steif herum. Ein Arm klatschte nach hinten, und wir alle zuckten zusammen, fürchteten einen Moment lang, dass er noch lebte.
Vermutlich war es ein Glück, dass zu diesem Zeitpunkt einige Erwachsene eintrafen, darunter mein Vater, der mich ohrfeigte und nach Hause schickte.
VIII
Natürlich war es damit längst nicht vorbei.
Unter den Kindern des Dorfes herrschte helle Aufregung: Es war das Spannendste, was in jenem Jahr geschehen war, abgesehen von Fatimas zweiköpfigem Huhn – das später als verhängnisvolles Vorzeichen betrachtet wurde – und Kintur, dem Jüngeren, der ertrank, als er nach einem spätnächtlichen Trinkgelage auf dem Heimweg von der Brücke fiel.
Wir galten noch als zu jung, um in Unterhaltungen einbezogen zu werden; man erwartete von uns, zu schweigen, wenn Erwachsene sprachen, und ihren Befehlen ohne Widerrede zu gehorchen. Dennoch wussten wir über alles Bescheid, was die Erwachsenen besprachen: Wir Kinder waren wie die Mäuse: unsichtbar und überall, und wir besaßen gute Ohren. Wir hörten sie reden, während wir in der Küche das Silber polierten oder auf den Feldern und in den Obstgärten arbeiteten, und als wir uns an jenem Abend zum Spielen trafen, erzählten wir einander, was wir erfahren hatten.
Anfangs schien es nichts mit uns zu tun zu haben. Immerhin war Surinam ein Fremder, wenngleich ein so unglückseliger, dass sich die Leute bekreuzigten, wenn sein Name erwähnt wurde. Den ganzen Tag lang, während der Leichnam des Mannes in den Ort gebracht, gewaschen und für die Beerdigung vorbereitet wurde, knisterte das
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