Land des Todes
gelegt. Dann verließ er die Küche ohne ein weiteres Wort. Ich kochte den Eintopf fertig und bedauerte, dass sich Lina so weit vergessen hatte, ihrem Gemahl Gefühle preiszugeben, die sie besser für sich behalten hätte. Ihre Befürchtungen waren, wie ich Tibor gesagt hatte, keineswegs unnatürlich; was mich vielmehr beunruhigte, war, mit welcher Heftigkeit, ja mit welchem Hass sie ihnen Ausdruck verlieh.
Danach behielt ich meine Herrin eingehender im Auge. Mir gegenüber äußerte sie nichts von dem, was sie ihrem Gemahl erzählt hatte – bestimmt, weil sie wusste, dass ich solche Reden missbilligt hätte. Aber als sich Linas Schwangerschaft immer deutlicher abzeichnete, beobachtete ich voll Besorgnis, wie sie immer bedrückter wurde. Tibor kümmerte sich ungebrochen liebevoll um sie, aber dasselbe Verhalten, das ihr den Winter hindurch Frieden und Behagen beschert hatte, schien sie nun zu reizen. Oftmals wies sie seine Liebkosungen unwirsch zurück, sogar vor mir, und jede Sorge um ihre körperliche Sicherheit schmetterte sie mit einer Rücksichtslosigkeit ab, die ich seit meiner Rückkehr aus dem Palast nicht mehr bei ihr erlebt hatte. Insbesondere frönte sie ungeachtet der Warnung des Arztes und letztlich sogar gegen den ausdrücklichen Befehl ihres Gemahls weiter dem Reiten, bis sie zu dick wurde, um den Sattel zu erklimmen. Es war reines Glück, dass sie kein Missgeschick erlitt.
Wurde ihren Wünschen nicht entsprochen, verlor sie nicht wie früher die Beherrschung, sondern zog sich stattdessen auf ihr Zimmer zurück. Dort verweigerte sie jede Mahlzeit und sprach so lange mit niemandem, bis sie ihren Willen bekam.Ich fand dieses Schweigen schlimmer als die Tobsuchtsanfälle ihrer Kindheit, und es gestaltete sich zweifellos genauso schwierig, damit umzugehen. Obwohl sich Tibor mir nicht mehr anvertraute, bedurfte es keiner besonders scharfen Wahrnehmung, um zu sehen, dass er bisweilen der Verzweiflung nahe war. Er liebte seine Frau unverändert und wollte sie nicht misshandeln, doch andererseits fehlte ihm die Charakterstärke, sie seinem Willen zu unterjochen. Manchmal grenzte ihr Verhalten ihm gegenüber in der Tat an Geringschätzung.
Ich glaube immer noch, dass ihre Ehe wahrscheinlich das überlebt hätte, was letztlich nicht mehr als die anfänglichen Missverständnisse zwischen zwei sehr jungen, frisch verheirateten Menschen waren. Zwischen ihren Anflügen von Verdrießlichkeit konnte Lina so sanftmütig und süß wie immer sein; und manchmal scherzte sie mit mir darüber, was für ein Glück sie doch hätte, einen so ausgeglichenen Mann geheiratet zu haben, der ihre schlechte Laune ertrug.
Als ihr Bauch immer größer wurde und sie das Kind in ihrem Leib treten spürte, schien sich ihr Widerwille zu legen, und sie sprach sogar gelegentlich davon, dass sie sich darauf freue, das Kind in den Armen zu halten. Hätte ich sicher sein können, dass ihre Niederkunft unproblematisch verlaufen würde, hätte ich mir ein Seufzen der Erleichterung gegönnt. So oder so, ich hatte den Eindruck, das Schlimmste sei überstanden, und wenn sich nur die Geburt selbst problemlos vollzöge, würde alles gut. Lina erfreute sich auch weiterhin so hervorragender Gesundheit, dass ich meine diesbezüglichen Befürchtungen unterdrückte, wenngleich ich an jedem Feiertag eine Kerze anzündete und für sie zur Jungfrau Maria betete.
Die Blätter der Pappeln und Linden verfärbten sich kupfern und golden und wirbelten in den böigen Winden über das welke Gras, frühe Vorboten der bevorstehenden Winterstürme. Die Schaf- und Ziegenhirten kehrten mit ihren Herden von den Sommeraufenthalten auf den Gebirgsweiden zurück, die Ernten waren beinah eingebracht, und wir alle begannen, uns auf die lange Kälte einzustellen.
Lina war im siebten Monat ihrer Schwangerschaft und zufriedener, als sie es seit langer Zeit gewesen war. Und dann kam Damek nach Elbasa zurück.
XX
Ich gehörte zu den Ersten, die von seiner Ankunft erfuhren.
Es geschah an jenem Herbstabend, an dem ich das Haus verließ, um meine Mutter zu besuchen. Es war noch hell, aber die Luft war kalt, und es drohte zu regnen, weshalb ich mich beeilte, das Rote Haus vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Plötzlich trat ein groß gewachsener Mann vor mich hin und rief meinen Namen. Es war, als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht, und ich erschrak heftig, verlor vor Angst fast die Fassung.
»Erkennst du mich denn nicht, Anna?«, fragte er. »So sehr habe ich mich
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