Land des Todes
zumal es Masko gewesen war, der ihr die Jungfräulichkeit geraubt hatte. Verständlicherweise konnte sie niemandem von ihren Ängsten erzählen; und in diesem Fall erwiesen sie sich glücklicherweise als unbegründet.
Mehr als einmal habe ich mich gefragt, wie sie die drei Tage der Festlichkeiten bewältigen würde. Sie tat es, und besser, als ich erwartet hätte. Allerdings zeigte sie eine merkwürdige Unbewegtheit, mit der sie sowohl Begeisterung als auch Zögerlichkeit umschiffte. Pflichtbewusst erschien sie mit dem Bräutigam am Kopf des Tisches, wenn es erforderlich war, und sie führte zum Tanz an, wie es die Tradition gebot. War ihre Anwesenheit jedoch nicht vonnöten, zog sie sich zurück und ließ die anderen feiern. Tatsächlich wirkte sie in ihrer Schönheit so zerbrechlich, dass niemand ihr Bedürfnis nach Ruhe infrage stellte. Tibor behandelte sie, als bestünde sie aus Glas; wenn sie zugegen war, veranstaltete er mit versonnener Miene allerlei Aufhebens um sie, als könnte er nicht ganz fassen, dass dieses feenhafte, zierliche Wesen nun zu ihm gehörte.
Das junge Paar richtete seinen Haushalt in der Manse einund fügte sich in das Eheleben. Lina verhielt sich weiterhin so ruhig wie zuvor, zumal Tibor nichts von regem gesellschaftlichem Verkehr hielt, und außerdem rückte ohnehin der Winter an und verbannte uns ins Haus.
Tibor verbrachte die Tage dennoch geschäftig: Er richtete seinen landwirtschaftlich geschulten Blick auf die Verwaltung des Anwesens und schmiedete Pläne, um Maskos Versäumnisse zu beheben und Verbesserungen vorzunehmen, sobald der Frühling einkehrte.
Lina verlebte ihre Zeit weitgehend so, wie sie es vor der Heirat getan hatte: Vormittags kümmerte sie sich um die Haushaltsaufgaben, nachmittags lenkte sie sich ab, indem sie las, zeichnete oder gelegentlich Musik spielte. Das Eheleben tat ihr gut: Ihre Zerbrechlichkeit, die mich so beunruhigt hatte, legte sich, als allmählich ein neuer Inhalt ihr Wesen ausfüllte. Sie bekam wieder Fleisch auf die Rippen, und unter die Blässe ihrer Haut kroch eine gesunde Farbe. Ich beobachtete diese Veränderungen mit besitzergreifendem Auge, ganz so wie eine Glucke bei einem kränklichen Küken.
Kurz nach der Schneeschmelze kam Lina zu mir und erkundigte sich, wie man feststellen kann, ob man ein Kind im Bauch trägt. Ich glaube, es muss eine ziemlich komische Unterhaltung gewesen sein: Lina war verlegen, weshalb ich ihre Frage zunächst nicht verstand, da sie sich in recht schwammigen Worten ausdrückte. Und als ich letztlich begriff, was sie wissen wollte, war ich ebenso verlegen wie sie: Ich selbst war noch Jungfrau, und es mangelte mir an der offenen Unbeschwertheit, mit der verheiratete Frauen untereinander über derlei Dinge reden. Zweifelnd betrachtete ich ihren schlanken Körper und erkundigte mich, warum sie dächte, schwanger zu sein.
»Oh … es sind verschiedene Dinge«, sagte sie. »Das Blut ist diesen Monat nicht gekommen. Und ich fühle mich ein wenig merkwürdig. Aber ich fürchte mich, Anna, denn was soll ich mit einem Kind? Ich will keines haben.«
»Sie sind jetzt eine Ehefrau. Man erwartet von Ihnen, Kinder zu bekommen«, erwiderte ich. Noch während ich die Worte aussprach, erkannte ich, wie nutzlos ich als Vertraute war.
»Nicht jeder hat Kinder. Ich möchte viel lieber keine. Was, wenn ich ausgerechnet jetzt sterbe, wo endlich alles gut ist?« Ich wusste, dass sie an ihre Mutter dachte, die im Kindbett verschieden war. »Ich wünschte, ich wüsste, wie man es verhindern kann. Aber wenn bereits ein Kind in mir ist, dann ist es ohnehin zu spät. Was soll ich denn jetzt tun?«
»Sie sollten es Ihrem Gemahl erzählen«, riet ich ihr. »Das sollten Sie tun.«
»Aber ich will kein Kind«, wiederholte sie, als würde etwas, das sie nur vermutete, allein dadurch Wirklichkeit, dass sie es Tibor mitteilte.
»Herr Tibor wird sich freuen«, meinte ich. »Und vielleicht geht es Ihnen danach auch gleich viel besser.«
Sie schüttelte den Kopf. In tiefe Trübsal gestürzt saß sie eine Zeit lang da. Letztlich riet ich ihr, den Arzt aufzusuchen. Nach einer weiteren Woche geflüsterter Unterhaltungen tat sie es und ließ ihn unter einem Vorwand kommen, damit Tibor nicht den wahren Grund für seinen Besuch erahnen würde. Der Arzt bestätigte, dass sie in der Tat schwanger war.
XIX
So, wie rings um uns der Frühling Einzug hielt, den Fluss mit der Schneeschmelze füllte und die Knospen an den Winterbäumen ersprießen ließ, so
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