Land des Todes
doch nicht verändert, oder?«
Und ob er sich verändert hatte. Seit ich Damek zuletzt gesehen hatte, waren die weichen knabenhaften Züge aus seinem Gesicht verschwunden, und er war mehrere Zoll gewachsen. Aber es war seine Stimme, die ich in jenem Augenblick wiedererkannte. Mir wurde klar, dass er unter den Kiefern gestanden haben musste, welche die Manse vor dem Wind schützen; sie warfen einen tiefen Schatten und hatten ihn völlig verborgen.
»Damek!«, stieß ich hervor. »Du meine Güte, ich dachte, Sie wären ein Dämon, der gekommen ist, um meine Seele zu holen! Aber wir haben Sie alle für tot gehalten!« Ich war immer noch nicht überzeugt davon, dass er keine Geisterscheinung war, deshalb umklammerte ich mein Kreuz und sprach ein stummes Gebet.
»Das ist ja ein bedauerlicher Anfang«, meinte er. »Ich dachte, zumindest in dir würde ich eine Freundin finden. Nein, ich bin weder tot noch ein Dämon. Ich bin so lebendig wie du. Schau!« Damit ergriff er meine Hand und drückte sie. Mein Herz hörte auf, so heftig zu pochen, denn seine Haut fühlte sich so lebendig und warm wie die meine an. »Komm. Bist du unterwegs ins Dorf? Ich begleite dich.«
»Aber wo sind Sie gewesen? Warum haben Sie nicht geschrieben?«
»Das geht dich nichts an. Ich bin fort gewesen, und ich bin zurückgekommen. Und ich habe erfahren, dass Lina verheiratet ist. Ich konnte meinen Ohren kaum glauben! Sag, dass es nicht wahr ist, Anna!«
Etwas schroff bestätigte ich, dass Lina sehr wohl verheiratet war, und ich fügte hinzu, dass sie jedes Recht gehabt hätte, denjenigen auszuwählen, den sie haben wollte.
»Ich habe auch gehört, dass sie schwanger ist«, sagte er nach kurzer Stille. Seine Stimme verriet keine besonderen Gefühlsregungen. Ich warf ihm einen Seitenblick zu, aber es war zu dunkel, um den Ausdruck in seinem Gesicht zu erkennen.
»Aye, das ist sie«, erwiderte ich. »Und wir, die wir sie lieben, sollten uns über diese Neuigkeit freuen.«
Damek schwieg dazu, doch die Luft zwischen uns schien sich zu verdichten, als balle sich rings um ihn eine unheilvolle Energie zusammen. Nach einigem Zögern sagte ich: »Sie ist glücklich, Damek, und sie ist viele Jahre lang sehr unglücklich gewesen.«
Darob drehte er mir das Antlitz zu, und ich sah seine Augen im Schatten seines Gesichts schimmern. Er sprach leise, aber mit solcher Inbrunst in den Zügen, dass mein Herz verzagte.
»Ich sage dir, Anna, niemand ist in den vergangenen Jahren unglücklicher gewesen als ich. Kein Tag, nicht ein einziger, ist vergangen, ohne dass ich an sie gedacht hätte. Alles, was ichgetan habe, all mein Kampf, ist allein für sie gewesen. Und kaum kehre ich endlich zurück, erfahre ich, dass ich in dem Moment vergessen wurde, in dem ich außer Sicht war.«
Die Ungerechtigkeit seiner Klage traf mich wie ein Schlag. »Sie hat Sie nie vergessen«, widersprach ich hitzig. »Und da jahrelang kein Sterbenswörtchen von Ihnen zu hören war, dachten alle, Sie wären getötet worden. Was hätte sie denn tun sollen? Sie sollten sie für das bemitleiden, was sie erlitten hat.«
»Was sie erlitten hat?«, gab er mit plötzlicher Leidenschaft zurück. »Ah, und was ist mit mir?« Dann schien er sich wieder zu fassen und lachte verbittert. »So lerne ich denn eine Lektion!«, meinte er. »Es heißt ja gemeinhin, dass Weiber launenhaft sind, allerdings hätte ich das von Lina nie gedacht.«
Der Schmerz, der in seiner Stimme mitschwang, ließ mich verstummen; trotz seiner ungehörigen Anklage bemitleidete ich ihn. Eine Zeit lang gingen wir schweigend weiter, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Ich sorgte mich vorwiegend um Lina. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Dameks Rückkehr in irgendeiner Weise gut für sie war, und angesichts ihres heiklen Zustands fürchtete ich sogar, seine Gegenwart könnte ihr sogar schaden.
Als wir uns dem Dorf näherten, ergriff er wieder das Wort: »Anna, ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust.«
Ich erwiderte vorsichtig, dass ich ihm gern einen Gefallen täte, solange das, was er verlangte, nicht falsch wäre.
»Ich möchte, dass du ihr sagst, ich bin zurück«, erklärte er. »Sie wird ohnehin bald von meiner Heimkehr erfahren; vorläufig bleibe ich bei diesem Schwein Masko, und in diesem Dorf verbreiten sich Neuigkeiten wie eine Seuche. Aber ich werde sie besuchen, und zwar bald. Mir wäre lieber, du erzählst ihr von meiner Ankunft, statt dass es jemand anderer tut. Bereite sie auf meinen Besuch vor.
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