Land des Todes
Tibor wirkte unsicher und verlegen. Lina, die der beiden Männer Stimmung nicht wahrzunehmen schien, lächelte zur Begrüßung und lud Damek ein, Platz zu nehmen. So saßen die drei beisammen und führten etwa eine Viertelstunde lang eine steife Unterhaltung, bis Tibor sich plötzlicheiner dringenden Aufgabe entsann und aus dem Haus eilte. Ich sah sein Gesicht, als er ging, und er tat mir leid; seine Miene glich der eines gefangenen Tieres.
Danach kam Damek jeden Tag und brach stets bei Anbruch der Nacht wieder auf, um mit Masko Karten zu spielen. Manchmal unternahmen Lina und er ausgedehnte Spaziergänge, wenngleich sie meine Bitte achteten, ihr Abenteuer im Regen nicht zu wiederholen. Zumindest lag Damek Linas Gesundheit am Herzen. Zwischen Damek und Tibor herrschte weiterhin angespannte Höflichkeit, aber Dameks ständige Gegenwart in der Manse sorgte schon bald im Dorf für Gerede, und ich vermutete, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis es Tibor zu Ohren käme. Kurz gesagt, obwohl es einen Waffenstillstand gab, bezweifelte ich, dass er von Dauer sein würde. Ich teilte Lina meine Befürchtungen mit. Sie lachte nur und meinte, die Ansichten einiger törichter alter Dorfweiber interessierten sie nicht, zumal alle Betroffenen rundum glücklich seien; eine Behauptung, die sich nicht mit meiner Sicht der Dinge deckte.
Ich hörte zudem Gerüchte, denen zufolge Masko hohe Beträge an Damek verlor; es hieß, Damek hätte beim Kartenspiel solches Glück, dass es an Teufelei grenzte. Ich glaube, es war um dieselbe Zeit, dass Geschichten über seinen Pakt mit Satan zu kursieren begannen: Als Gegenleistung für alle Reichtümer der Welt, so erzählte man sich, habe Damek seine Seele verkauft. Von da an gab mir seine Freundschaft zu Masko keine Rätsel mehr auf: Für mich war klar, dass ein Teil seiner Rache darin bestand, Masko den Besitz abzuluchsen, der an Lina hätte fallen sollen. Auch bin ich überzeugt davon, dass Lina von seinem Plan wusste, denn sie erhob nie Einwände, wenn er das Haus verließ, sondern winkte ihn stets mit einem Lächeln von dannen, in dem ein Hauch Boshaftigkeit lag. Im Gegensatz zu Damek, der Reichtum genauso gierig hinterherjagte wie jeder Mann, den ich je kennengelernt habe, war Lina Geld noch immer vollkommen gleichgültig,doch sie sann ebenso sehr auf Rache an Masko wie Damek.
Etwa zwei Wochen lang setzten sich die Dinge in diesem Missbehagen fort. Dann begab es sich, dass der alte Kiron, das neueste Opfer der Vendetta, auf dem Hügel oberhalb der Manse erschossen wurde. Tibor fand seinen Leichnam am Morgen und brachte ihn auf seinem Pferd nach Hause. Er wurde im vorderen Empfangszimmer aufgebahrt, wo außer bei formellen Anlässen nie jemand saß, bis seine Familie kommen und ihn holen konnte. Kirons Sohn traf bleich und sprachlos wenig später mit seinen wehklagenden Schwestern ein. Begleitet wurden sie von Damek, der ihnen unterwegs begegnet war. Lina weigerte sich, ihr Zimmer zu verlassen, bis die Leiche aus dem Haus verschwunden wäre, da es für eine Schwangere Pech verheißt, einen Toten zu sehen. Und so stand Damek bei den Angehörigen, als sie über dem Verstorbenen weinten, und er half Tibor, ihn auf eine behelfsmäßige Bahre umzubetten, auf dass ihn der Esel der Familie heimwärts ziehen konnte.
Als Zeichen des Respekts begleitete Tibor die Angehörigen bis zu ihrem Haus. Damek und ich schauten ihnen den Pfad entlang nach.
»Verdammt, diese Barbarei hatte ich völlig vergessen«, sagte Damek. »Ist es immer noch dieselbe Vendetta wie damals, als ich fortging? Man sollte meinen, dass mittlerweile genug Blut vergossen und Säckel gefüllt wurden. Ich darf gar nicht daran denken, wie all der Tod nur dazu dient, Maskos fetten Wanst zu füllen! Da möchte man am liebsten ausspucken!«
Ich murmelte zur Erwiderung etwas Unverfängliches; in Wirklichkeit entsetzte mich, dass er sein Empfinden – das ich zwar durchaus teilte, jedoch nicht laut zu äußern gewagt hätte – so unverhohlen aussprach.
»Ich hasse diesen Ort, Anna«, meinte er. »Ich hasse ihn von ganzem Herzen. Sieh ihn dir nur an! Die Berge dort, hässlichwie die Sünde, dann diese kahlen Ebenen und ein Klima geradewegs aus der Hölle – ich schwöre, wäre es nicht um Lina gegangen, ich wäre nie zurückgekehrt. Ich verstehe nicht, was sie hier hält. Warum geht sie nicht?«
»Aber Damek, sie ist verheiratet!«, stieß ich hervor, einmal mehr entsetzt. »Und sie ist in anderen Umständen. Sie können
Weitere Kostenlose Bücher