Land des Todes
nichts. »Ständig zerren sie an mir, ziehen mich bald hierhin, bald dorthin! Wenn ich den einen nur erwähne, bekommt der andere gleich einen Wutanfall! Das treibt mich zur Verzweiflung!«
Ich erdreistete mich anzumerken, dass dies die logische Kosequenz aus der Lage sei, in die sie sich selbst gebracht hatte, und dass es vielleicht hilfreich wäre, wenn sie Damek etwas weniger sähe.
Mühsam setzte sich Lina aufrechter hin, und dann schien sie zu meiner Überraschung tatsächlich darüber nachzudenken. »Damek weniger sehen! O Anna, wie wenig du verstehst! Was würde das bringen? Er würde grollen und mit den Füßen auf dem Boden schaben wie ein wütender Bulle hinter dem Gatter seines Pferchs, und ich würde es in den Knochen fühlen. Ich kann keine Ruhe finden, wenn er so verärgert ist.Warum kann er nicht zufrieden sein, wie er es sein sollte? Immerhin sind wir zusammen, und das ist alles, was wir beide je wollten.«
Ich betrachtete sie einigermaßen erstaunt, und nach kurzer Überlegung befand ich, dass dieser Zeitpunkt so gut wie jeder andere sei, um offen mit ihr zu reden.
»Frau Lina, Sie sollten wissen, dass Damek Sie für sich allein haben will. Er wird nicht zufrieden sein, bis Sie nur ihm gehören. Er wird Herrn Tibor nie als etwas anderes als einen Rivalen betrachten; und meiner Ansicht nach hat Herr Tibor guten Grund, beunruhigt und eifersüchtig zu sein.«
»Tibor führt sich auf wie ein Kind«, meinte Lina. »Ich höre einfach nicht hin, wenn Damek so redet. Es ist töricht und selbstsüchtig von ihm, Anna, findest du nicht?«
»Ist es«, bestätigte ich. »Aber es ist auch töricht und selbstsüchtig, den eigenen Ehemann mit Respektlosigkeit zu strafen. Indem Sie Damek ständig in der Weise ermutigen, wie Sie es nun einmal tun, ist es kein Wunder, dass er so denkt.«
Lina schreckte aus ihrer Teilnahmslosigkeit hoch. »Ermutigen? Respektlosigkeit? Anna, warum redest du mit mir, als wärst du eine der Dorfvetteln, die in ihren Handarbeitskränzchen schlecht über andere reden? Du bist genauso schlimm wie Tibor und Damek. Beide benehmen sich wie Bauern, die um drei Mandelbäume oder eine Ziege zanken. Ich bin kein Ding, das man sich unter den Nagel reißen kann, oder ein Stück Land, dessen Besitzverhältnisse ein Hochlandzauberer schlichten muss. Von Tibor erwarte ich nicht, dass er etwas anderes versteht … Ich liebe ihn innig, doch er ist nun mal, was er ist. Aber Damek weiß es sehr wohl besser! Wenn ihm mein Herz gehört, wozu braucht er dann noch etwas anderes?«
»Ihr Herz gehört allein Ihrem Gemahl«, widersprach ich. »Haben Sie das Gelübde vergessen, das Sie selbst in der Kirche abgegeben haben?«
»Und ich dachte immer, du hättest ein wenig Verständnis … Hör mir jetzt zu! Damek und ich sind so gut wie ein Wesen. Von unserer Trennung zu sprechen, ist blanker Unfug – ebenso gut könnte ich mir das Herz aus der Brust reißen! Ich kann nicht wachen, ohne dass er in meinen Gedanken ist; ich kann nicht schlafen, ohne dass er in meinen Träumen ist. Als ich dachte, er wäre tot, da bin ich gestorben. Jetzt ist er zurück, und ich kann endlich wieder mein Leben schmecken.«
»Wenn Sie so empfinden, hätten Sie Herrn Tibor nie heiraten sollen«, gab ich hitzig zurück. »Das ist das Selbstsüchtigste, das je ich in meinem Leben gehört habe!«
»Selbstsüchtig? Aber ich liebe Tibor.« Sie starrte mich an, als wäre sie verblüfft darüber, dass ich etwas anderes denken könnte. »Er ist zärtlich, und er kümmert sich so gut um mich. Er ist wie ein ruhiger See. Erinnerst du dich an den Süden, wo wir in dem schattigen Teich in der Nähe des Hauses, in dessen Wasser die Äste der Weiden hingen, schwimmen gegangen sind? Dort war es immer so friedlich. Die Tauben gurrten in den Bäumen, die Enten platschten, und alles war so grün und weich, und das Wasser war so klar. Genauso ist Tibor. Und wenn der Winter kommt, wenn der Teich zufriert und die Bäume alle kahl werden, dann werde ich ihn vielleicht nicht mehr lieben, aber jetzt ist er mein sicherer Hafen, Anna, und ich brauche ihn. Damek hingegen – Damek ist der Fels unter meinen Füßen. Ihm kann ich ebenso wenig entkommen, wie ich meiner eigenen Seele entfliehen könnte. Ich weiß, er ist selbstsüchtig, und ich weiß auch, er ist kein Gott. Er kümmert sich um mich so wenig, wie sich der Berg um den Sturm kümmert oder der Sturm um den Berg. Er ist ich, Anna, das Grundgestein meiner selbst … damit geht keine
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