Land des Todes
Ich glaube, er hätte Tibor an Ort und Stelle geschlagen, wenn ich die beiden Männer nicht brüllend aufgefordert hätte, zur Besinnung zu kommen und aufzuhören, sich wie Kinder zu benehmen. Mir ging mit ihnen allen allmählich die Geduld aus, am meisten lag mir jedoch daran, dass sich Lina trockene Kleider anzog. Bevor weitere böse Worte fallen konnten, scheuchte ich sie deshalb die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer, half ihr aus dem feuchten Kleid und rieb sie kräftig mit einem Handtuch vor einem warmen Feuer ab, bis die Farbe in ihr Gesicht zurückkehrte. Dabei begann das Kind zu treten, und sie legte die Hand auf ihren Bauch, um zu fühlen, wie die Glieder unter ihrer Haut zappelten.
»Sie bringen noch Ihr Kind und sich selber um, wenn Sie so unbesonnen herumtollen!«, sagte ich zu ihr. »Und Sie treiben Herrn Tibor zur Verzweiflung.«
»Nein, Anna!« Sie hatte teilnahmslos dagestanden wie ein kleines Mädchen und mir kein bisschen geholfen, außer, indem sie die Arme oder Beine hob, wenn ich sie dazu aufforderte. »Das Kind freut sich auch! Sie liebt die Freiheit so sehr wie ich!«
Ich schüttelte über ihren Eigensinn den Kopf. Als sie warm angezogen war, musterte ich sie eingehend. Sie schien zwar kein Fieber zu haben, aber ich misstraute dem Funkeln in ihren Augen. Ich forderte sie auf, vor dem Feuer zu bleiben, bis ihr Haar trocken wäre, dann begab ich mich nach unten, um nachzusehen, was aus den Männern geworden war.
Von beiden fehlte jede Spur. Ich fragte die Küchenmagd, ob sie etwas gehört hätte. Sie antwortete, dass beide das Haus verlassen hätten, und zwar unmittelbar, nachdem ich Frau Lina nach oben gebracht hatte. Kurz fragte ich mich, ob sie hinausgegangen waren, um einander zu erdolchen, doch zu dem Zeitpunkt war ich zu verärgert, als dass es mich groß gekümmert hätte. Ist nicht schade um sie , dachte ich. Um alle beide nicht .
XXIV
Zu meinem Erstaunen und meiner großen Erleichterung bekam Lina keine Erkältung.
Es war, als wäre in ihr etwas entfacht worden, das jeden Angriff auf ihre Gesundheit vertrieb. Die Zerbrechlichkeit, die mir solche Sorgen bereitete, blieb augenscheinlich, und sie wurde immer noch schneller erschöpft, als mir lieb war, doch gleichzeitig erfüllte sie eine wilde Energie, die sie stärker wirken ließ, als sie war. Missmutig frühstückte sie mit Tibor und weigerte sich, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln, bis er sich demütig für seine Beleidigung vom Vortag entschuldigte. Als er die Worte gesprochen hatte, lächelte sie strahlend und fasste über den Tisch, um sein Gesicht zu streicheln.
»Warum bist du wegen Damek so verärgert?«, fragte sie. »Er steht mir so nah wie ein Bruder, und ich bin so glücklich, dass er nach Hause zurückgekehrt ist! Verdirbt mir das nicht,Tibor, bitte. Solltest du ihn nicht eher auch so lieben wie ich? Damek habe ich gesagt, dass er dich lieben muss, doch wenn es einseitig ist, dann ist es nicht gerecht …«
Tibor schaute besorgt drein und breitete die Hände zu stummem Widerspruch aus. Ich beobachtete, wie Lina all ihren Zauber zum Einsatz brachte, und hoffte insgeheim, ihr Mann würde sich dazu durchringen, ihm zu widerstehen, aber das konnte er nicht; ebenso gut hätte eine Maus versuchen können, eine Schlange zu verhexen. Kaum hatte Lina Tibor davon überzeugt, dass sein Glück von dem ihren abhing – was es bis zu einem gewissen Grad auch tat –, war alles verloren. Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und teilte ihm mit einem strahlenden Lächeln mit, dass Damek später an jenem Vormittag vorbeikommen würde.
»Er hat mir gegenüber nichts von einem Besuch erwähnt«, sagte der arme Mann leicht verwirrt. Ich vermutete, dass er Damek am vergangenen Abend aufgefordert hatte, nie wieder seinen Schatten über unsere Schwelle zu werfen.
»Aber mir hat er es gesagt«, erklärte Lina. »Und er bricht seine Versprechen nie. Du darfst heute Vormittag nicht rausgehen. Du musst bleiben und ihm sagen, dass es dir leidtut, und du musst dich mit ihm anfreunden, sonst bin ich so unglücklich!«
Beinah hätte ich gelacht, als ich Damek später an jenem Vormittag in die Wohnstube führte, wo er Lina und seinen Rivalen über den Tisch gebeugt vorfand, während sie über Pläne für das Gehöft sprachen. Seine Brauen zogen sich zu einem Stirnrunzeln zusammen, und er bedachte mich mit einem scharfen Blick, als wäre die Situation meine Schuld. Ich ließ mich von ihm nicht einschüchtern und begegnete dem Blick ernst.
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