Land des Todes
dich nicht lächerlich. Damek ist kein Fremder. Er könnte genauso gut mein Bruder sein, und es ist nichts Unziemliches daran, wenn ich mit ihm allein bin. Jetzt geh und erledige all die Aufgaben, über die du dich zuvor beklagt hast. Wir haben einander viel zu sagen, und wir brauchen keine Anstandsdame.«
»Los, los, Anna«, forderte Damek mich auf. »Du hast deine Herrin gehört.«
Ich hatte keine andere Wahl, als die Stube zu verlassen, wenngleich mich allerlei böse Vorahnungen ob ihrer Torheit begleiteten. Und Damek achtete darauf, die Tür hinter mir zu schließen.
XXIII
Das Paar blieb knapp drei Stunden unter sich, und mich plagte die ganze Zeit lang ständig die Sorge, Tibor könnte nach Hause kommen und die beiden entdecken.
Ich muss auch gestehen, dass ich vor Neugier brannte – ich fragte mich, was sie einander erzählten und was sie taten. Lina befriedigte meine unfeine Wissbegierde nicht. Nachdem Damek gegangen war, meinte sie lediglich, sie hätten Neuigkeiten ausgetauscht. Dabei bedachte sie mich mit einem spöttischen Blick, der verriet, dass sie sich meines Interesses vollkommen bewusst war. Falls Damek Lina verraten hat, wo er die vergangenen Jahre gesteckt hatte, so sagte sie es mir nie.
Anscheinend war Tibor nach wie vor wütend auf Lina, zumal er an jenem Abend lange fortblieb und erst deutlich nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause kam. Und so fand die von mir gefürchtete Begegnung zwischen Damek und Tibor nicht statt, jedenfalls nicht an jenem Tag. Ihr Aufeinandertreffen schien unvermeidlich zu sein, doch wie der heilige Matthäus einst sagte: »Sorgt nicht für morgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.« Nur allzu gern beherzigte ich seinen Rat.
Nach Dameks Aufbruch erwies sich Lina als merkwürdig ruhig; sie wirkte fast geistesabwesend, aß aber brav ihr Abendmahl und nahm ohne Widerspruch das widerlich schmeckende Elixier ein, das der Arzt ihr verordnet hatte. Jenes Strahlen, das ihrer Schönheit einen nachgerade übernatürlichen Glanz verlieh, behielt sie bei. Während sie mit einem aufgeschlagenen, aber ungelesenen Buch im Schoß in der Wohnstube saß, das Kinn auf die Hand gestützt, erinnerte sie an eine aus Alabaster geschnitzte Figur, die durch eine sanfte, aber beständige Flamme von innen erhellt wurde.
Als Tibor letztlich heimkehrte, begrüßte sie ihn unlustig,wenngleich ohne Feindseligkeit. Und er, der zweifellos mit einem gereizten Empfang gerechnet hatte, zeigte sich unverhofft entwaffnet. Er bestellte ein spätes Abendessen, und die beiden saßen ruhig da, sprachen ohne Groll miteinander. Wer sie so gesehen hätte, wäre nie auf den Gedanken gekommen, sie könnten etwas anderes sein als ein rundum zufriedenes Paar.
Als ich mich in jener Nacht für das Bett vorbereitete, fragte ich mich, ob meine Befürchtungen am Ende unbegründet wären. Wann immer ich an Dameks Unterhaltung mit mir zurückdachte, verspürte ich Unbehagen: Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er sich so ohne weiteres mit Linas Ehe abfinden würde, und ich wusste, dass er den Gepflogenheiten, die über den Rest von uns herrschten, wenig Respekt entgegenbrachte. Andererseits, so dachte ich, würde er erkennen, was am besten für Lina wäre, wenn er sie wirklich liebte, und er würde seine eigenen Wünsche hintanstellen. Immerhin hatte er sogar Masko vergeben, mit dem er mittlerweile geradezu freundschaftliche Bande geknüpft zu haben schien, und das bewies doch, dass alles möglich war.
Dass ich solche Überlegungen hegte, beweist, wie töricht Wunschdenken ist. Damek konnte geduldig sein, wenn es um die Erfüllung seiner Wünsche ging, geduldiger als jeder andere, den ich kannte. Wenn es sein musste, verzichtete er auf ihre umgehende Erfüllung, aber der Gedanke, das Feuer auszutreten, das ihn anheizte, kam ihm nie in den Sinn. Ich glaube, er war der unbeirrbarste Mensch, dem ich je begegnet bin. Und ich hatte Linas Widerspenstigkeit vergessen, hatte gedacht, damit sei es ein für allemal vorbei. In Wirklichkeit hatte es ihr lediglich an einem geeigneten Ziel gefehlt. Nun, ich sollte schon bald meiner hoffnungsvollen Träumereien beraubt werden.
Damek traf am folgenden Tag nach dem Frühstück in der Manse ein, nur kurz, nachdem Tibor das Haus verlassen hatte. Da die Ernte mittlerweile vorbei war, beaufsichtigte Tibor denBau einiger Schuppen, die er vor dem Einbruch des Winters fertigzustellen hoffte. Mich überraschte es, Damek schon so bald wiederzusehen, Lina hingegen
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