Land Spielen
das hier alles gut sei, Moritz verneint, dann wendet er den Kopf, schaut Christine an und grinst, die Augen schmal, auch Christine muss grinsen. »Man ist wohl nie zufrieden«, sagt Moritz, sagt es, als meine er es nicht ernst. Christine lacht und sagt: »So wie ihr, so möchte ich auch leben.«
Moritz und Christine, sie sitzen da auf ihrem Platz an der Sonne, Moritz mit schlechtem Gewissen, weil er sich nicht um das kümmert, worum er sich kümmern sollte, weil er, statt den Schafszaun zu vollenden und einen Kaninchenstall zu bauen, hier sitzt und Reden schwingt über das gute Leben und über schlechte Momente. Weil er es genießt, dass die Dorflehrersfrau ihre Sorgen vergessen zu haben scheint und dass es anscheinend an ihm liegt. Weil er die Nähe genießt, zu dieser Frau, die ihm nicht gehört, aber diese Nähe gehört an diesen Vormittagen ihm und nur ihm, eine handbreite Distanz zwischen seiner Schulter und ihrer Schulter. Diese fremde Schulter hat nichts mit uns zu tun, nur mit Moritz allein, und er genießt es, hier auf diesen federnden Gitterrollen nicht Teil eines großen Ganzen, sondern ganz er selbst zu sein. Und hat ein schlechtes Gewissen, dass er es genießt.
Und er weiß nicht recht, was er anfangen soll mit diesem Gefühl. Er weiß bloß, dass er alles hat: Er hat uns, hat das Haus, hat den Stall, hat die Schafe, hat sich dafür entschieden und weiß, dass es die richtige Entscheidung war. Er könnte froh sein, und er ist froh, denn der erste Winter ist überstanden und es gibt wenigstens eine Person, die uns bewundert für die Art, wie wir leben. Dass wir es richtig machen, dass wir ein Zuhause haben, dass wir eine Familie sind, ein Team, dass jeder seine Stärke hat, dass wir gemeinsam unverwundbar sind.
Moritz’ Stärke ist, andere für sich einzunehmen, Dörfler waren bis jetzt resistent, bei Christine scheint die Gabe wieder zu funktionieren. Und Moritz fragt sich Morgen für Morgen, wenn er uns verabschiedet hat, wenn er allein vor Haus und Hof steht, wenn er überlegt, welche der anfallenden Aufgaben er heute aufschieben soll und ob er deswegen so auf die Besucherin hofft, weil er von ihr oder weil sie von ihm so angetan ist.
Auch Vera bleibt nicht unbesucht. Auch dieser Gast ist bekannt, allerdings nicht so bekannt wie Christine, die schon von Anfang an bei uns auf dem Sofa saß, die ja sogar das Sofa selbst mitgebracht hat. Veras Begegnung ist zufälliger, ist abrupter, fängt an mit einem Zusammenstoß: Der Schreck ist groß, dass hinter der Ecke, um die sie gerade biegen will, der Dorfpfarrer hervorgeschossen kommt. Er schwungvoll wie immer, sie noch immer etwas desorientiert von der Wirkung des Nikotins. »Au!«, sagt Vera. »Entschuldigung«, sagt der Pfarrer. »Ja, Entschuldigung«, sagt Vera. »Versteckst du dich?«, fragt der Pfarrer. Die eben Angerempelte fühlt sich überrumpelt, versteht nicht. Verstecken, wovor, weil wir hier leben, weil wir uns ein Refugium gebaut haben, weil wir …, denkt sie und wird im Gedanken unterbrochen. »Hallo überhaupt«, sagt der Pfarrer, macht den Schritt, den er gerade zurück gemacht hat wieder vor, streckt Vera die Hand entgegen: »Rudolf.«
»Ich weiß«, antwortet Vera.
Wir kennen den Dorfpfarrer, wenn auch nur flüchtig, was daran liegen mag, dass er ein flüchtiger Mensch ist. Immer unterwegs von einem Lämmlein zum nächsten, sein schwarzes Auto das schnellste in der Gegend, wo die Fahrzeuge meist Rapid heißen. Der Pfarrer, Hirte von mehreren Herden, hält mittwochs im Altersheim Predigten, hört sich Lebensbeichten an, kurz bevor er Beerdigungsreden schreibt, lässt sich einladen zum einen oder anderen Klaren, den der eine oder andere Altersheimbewohner im Schrank bereithält. Seinem Fahrstil ist also so wenig zu trauen wie seiner andauernden guten Laune. Vera versucht zu riechen, ob seine Besuche noch anstehen oder schon abgeschlossen sind. »Du scheinst die Einzige zu sein, die den Garten benutzt«, sagt der Pfarrer. Vera lächelt, Vera schweigt. Der Pfarrer zieht eine Schachtel Zigaretten aus der Innentasche seines Sakkos. (Das Kleidungsstück ist dunkelgrau, dunkel genug, um adäquat zu sein bei bitteren Lebensgeschichten, und hell genug, um zu geborenen Enkeln zu gratulieren.) Der Pfarrer nimmt sich eine Zigarette, hält Vera die Schachtel hin.
Vera: »Eigentlich rauche ich nicht.«
Rudolf: »Eigentlich raucht niemand.«
Er bietet die Zigarette nachdrücklicher an, und endlich darf er auch Feuer geben. »Psst«, sagt Vera
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