Land Spielen
Erlebnisse ging, um die es im Grunde eben nicht ging, aber davon erzählte Moritz auch nichts. – »Ich bin ja nicht eifersüchtig, Moritz, aber du machst das alles bloß mit dir aus.« – Und Moritz stritt alles ab, stritt überhaupt gern, fand immer mehr Gründe, immer weniger zu Hause zu sein, bis das Paar eines Nachts in der Stadtwohnung im Bett lag, bis sich Vera aufsetzte, bis sie sagte: »Was ist eigentlich los?« Und bis Moritz endlich ins Reden kam: »Wo ist das neue Projekt, was soll ich tun im Leben, geht es jetzt immer so weiter, genau so?« Oder: »Das, womit ich meine Zeit verbringe, ist nicht das, was ich mag.« »Was magst du denn?« »Ich weiß es nicht.« Und das Paar saß, lag, wälzte sich in der Stadtwohnung im Bett, kaute an Problemen herum, die Vera nicht verstand, und Moritz verstand sie auch nicht, und nun lag es in der Luft, das Wort, dieses unruhestiftende Wort »Trennung«. Und weder Moritz noch Vera wussten, ob er oder sie es lieber hören oder lieber sagen wollte. Und dann plötzlich tauchte ein neues Wort auf, und statt von »Trennung« sprach man plötzlich von »Neuanfang«. Gemeinsam. Und richtig. Und plötzlich sprach man auch vom lange gehegten Traum, aufs Land zu ziehen, und Vera sagte: »Lass es uns einfach tun.«
Und die Zeit, die auf die schlimme Zeit folgte, an die erinnert sich Vera schon lieber und also auch besser. Sie war geprägt von Euphorie, war unruhig, weil es viel zu tun gab, ein Haus mit Hof musste gefunden werden, mit der Bank musste man reden, mit den Freunden, mit den Kindern. Aber greifbar war auch die Vorfreude: Bald würde es neue Aufgaben geben (Moritz), bald würde sie einkehren, die Ruhe (Vera). Und natürlich waren die meisten Häuser zu teuer und natürlich lag das einzige erschwingliche Haus viel zu weit von der Stadt weg, viel weiter als geplant. Abgelegen. Ganz hinten, mitten in den Hügeln. Verlottert. Und diesmal war Moritz derjenige, der den Satz sagte: »Lass es uns einfach tun.«
Und jetzt ist das erste Jahr geschafft, die Dinge beginnen sich einzuspielen, ab jetzt kann es immer so weitergehen, denkt Vera. Vergnügt nimmt sie den letzten Zug von der Zigarette, drückt sie am Stützpfeiler des Vordaches aus. Sie schaut, ob sie niemand beobachte, und wirft den Stummel ins Gebüsch. Es ist ihr etwas schwindlig, etwas übel, der Puls ist erhöht, und trotzdem fühlt sie sich erschlagen. Sie mag dieses seltsame Gefühl, wie in einer Blase. Sie freut sich auf den nächsten Tag, hofft, dass der Witwe des Fabrikanten die Zigarettenvorräte nicht zu schnell ausgehen.
*
Schon länger hat Christine ein Auge für Fahrzeuge, nun nutzt sie ihre Fähigkeit und ihre vormittägliche Freizeit für Spaziergänge in unsere Richtung. Steht das rote Mofa nicht vor der Scheune, setzt sie sich mit unserem Ältesten auf den Gitterrollenthron.
Seit der Frühling da ist, scheint es Christine besser zu gehen, es scheint, als wisse sie sich neuerdings zu wehren gegen das Schwere in der Welt. Vielleicht ist es auch die frische Luft, die sie dank der täglichen Ausflüge und Gitterrollenthronsitzungen abbekommt, die roten Wangen kommen von der Frühlingssonne oder von den Gesprächen, die sie mit unserem Redner führt. Mit unserem Redner, den sie bewundert für seine Tatkraft, für seine Entschlossenheit und für seine Reden. Seit Moritz nicht mehr bloß Tröster sein muss, spricht er auch von eigenen Sorgen, die er ansonsten mit niemandem zu teilen scheint. Er spricht davon, dass der Neuanfang langsam zu Alltag werde, davon, dass er nicht bloß hierhergekommen sei, um Arbeiter zu sein. Christine versteht ihn, Christine hört ihm gerne zu, Christine mag seine Stimme, an die Scheunenwand gelehnt spürt sie die Vibration dieser Stimme im Rücken.
Moritz und Christine. Man trifft sich täglich, sie hält ihn von der Arbeit ab, er erwartet sie freudig, endlich darf er aufhören, seine Aufgabenliste oder die nackt aus der Wiese ragenden Zaunpfähle anzustarren.
Man sitzt da, nebeneinander auf mehreren Rollen Maschendraht oder auf der Bank vor dem Haus, schaut auf die Wiese, schaut zu den Bauernhäusern, beobachtet Zweige, die sich im Frühlingswind wiegen und Tag für Tag mehr hellgrüne Blätter tragen. Auch Christine ist aufgeblüht. Vergnügt erzählt sie von ihrer Kindheit, von seltsamen Nachbarskindern und wann sie sich in wen verliebt hat. Moritz erzählt von der Stadt, erzählt, wie froh er ist, hier auf dem Land zu sein, Christine fragt, ob er nie Zweifel habe, ob
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