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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht
Autoren: Stefan Holtkoetter
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keinen Fall. Das durfte nicht passieren.
    »Nathalie, bitte…«
    Sie sah ihn wieder interessiert an. Was ging ihr durch den Kopf? Bekam ihr Bild von ihm Risse? Verlor sie schon jetzt etwas Achtung vor ihm? Ohne seine wahren Schwächen zu kennen?
    »Du kennst meine Familie nicht«, sagte er. »Es würde nicht gut laufen. Ich…«
    Er nahm ihre Hände und drückte sie. »Dies hier, du und ich, das ist gut«, sagte er eindringlich. »Daran sollen die nicht teilhaben. Es ist gut, verstehst du?«
    »Aber, Marius… Das ist furchtbar, was du da sagst. Deine Eltern lieben dich doch, oder?«
    Er schwieg. Plötzlich schien alles aussichtslos. Nicole würde von Nathalie erfahren, und damit auch seine Eltern. Sie würden schon dafür sorgen, dass Nathalie wieder verschwand.
    »Sie wollen für mich keine Freundin wie dich.«
    Ihr Gesicht verdunkelte sich. Er glaubte zu wissen, was ihr durch den Kopf ging.
    »Nicht wegen deiner Hautfarbe«, sagte er eilig. »Jedenfalls nicht vordringlich. Es ist deine Art. Du bist nicht kontrollierbar für sie. Außerdem wollen sie eine Erbin für das Unternehmen. Sie wollen ihresgleichen für mich. Eine, die kühl ist und zielstrebig und gute Manieren hat.«
    »Willst du sagen, ich hab keine guten Manieren?«
    »Nein, versteh doch. Was ich sagen will ist, sie werden versuchen, dies hier zu zerstören.«
    Es war das erste Mal, dass sie über solche Dinge sprachen. Er sah ihr in die Augen. Spürte sie, wie wichtig das für ihn war? Sie sollte diesen Teil seines Lebens nicht kennenlernen.
    Der Zug fuhr in den nächsten Bahnhof ein. Marius warf einen Blick auf das Stationsschild. Es war nicht mehr weit bis Gertenbeck. Ihm blieb nicht viel Zeit.
    »Du möchtest also, dass ich nach Essen weiterfahre«, stellte sie fest. »Und dich allein in Gertenbeck aussteigen lasse.«
    Er lächelte gequält. Ja, das wollte er.
    Sie betrachtete ihn. In ihren Augen blitzte es.
    »Vielleicht solltest du dann auch nicht in Gertenbeck aussteigen.«
    »Wie bitte? Was meinst du?«
    »Komm mit mir nach Essen.«
    »Aber ich kann doch nicht…«
    »Meine Eltern freuen sich, davon bin ich überzeugt. Sie nehmen Fremde immer herzlich auf. Meine Mutter wird ein tolles Abendessen zaubern, und dann sitzen wir zusammen und unterhalten uns. Sag deiner Familie ab.«
    Ihre Eltern kennenlernen. Er spürte ein Kribbeln. Die Aussicht war verlockend.
    »Aber… Du weißt doch, die haben mich seit Tagen nicht mehr gesehen. Die rechnen heute Abend fest mit mir. Das kann ich nicht machen.«
    »Ich weiß nicht viel über dich und deine Familie. Aber ganz egal, was sonst mit dir los ist – ich weiß, du hast ein gutes Herz. Ich kann nur sagen: Was du da redest, hört sich schrecklich an. Wenn dir diese Leute nicht guttun, dann solltest du vielleicht …« Sie ließ den Satz unbeendet.
    Draußen zog hinter den Bäumen die Seenlandschaft vorbei. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser. Eine Erkennungsmelodie ertönte, dann wurde der nächste Bahnhof angesagt: Gertenbeck am See.
    Marius wusste, was sie sagen wollte. Er dachte ja selbst unentwegt daran.
    »Dann sollte ich vielleicht … was?«, fragte er.
    »Ach, nichts.«
    »Jetzt sag schon.«
    Es lag in der Luft. Beide dachten dasselbe. Einer musste es nur laut aussprechen. Sich trauen. Damit es real wurde.
    Nathalie tat den Schritt: »Und wenn wir wirklich zusammenziehen würden? Nicht nur in der Phantasie? Ich mein, ich sehe doch, wie viel Angst du vor deiner Familie hast. Du könntest … wir könnten also … doch einfach zusammenziehen?«
    Marius hielt die Luft an. Was bislang nur Träumerei gewesen war, wurde zu einer konkreten Idee. Der Gedanke war ein Schock. Sein Vater. Das Unternehmen. Sein vorgezeichneter Weg. Es war undenkbar. Und er kannte Nathalie doch erst seit einer guten Woche.
    Es war gefährlich. Verboten.
    Und aufregend.
    »Sie werden mich nicht einfach ziehen lassen«, sagte er mit klopfendem Herzen. »Entweder ich tanze nach ihrer Pfeife oder ich verschwinde aus ihrem Leben. Es wird zum Bruch kommen.«
    Er betrachtete Nathalie. Da war so viel Schönheit und Stärke und Kraft. Alles schien bei ihr möglich zu sein.
    Er konnte kaum fassen, worüber er gerade nachdachte.
    »Meinst du wirklich, wir sollten das tun?«, fragte er.
    Und dann breitete sich in seinem Gesicht ein Lächeln aus.

6
    Die Sonne verschwand hinter den Wolken. Ein eisiger Wind wehte über den Parkplatz des Polizeipräsidiums. Hambrock zog die Schultern hoch und schloss eilig den Wagen ab. Anfang Mai. Vor ein
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