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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht
Autoren: Stefan Holtkoetter
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erst mal: Wie geht’s dir überhaupt?«, fragte Hambrock. »Hast du dich inzwischen bei deiner Oma ein bisschen eingelebt?«
    Fabio sah zu Boden. »Geht schon. Sie ist oft unterwegs. Hängt mit so nem alten Typen in der Kneipe rum. Ist schon okay.«
    »Und wie läuft’s in der Schule?«
    »Keine Ahnung. Ich war seit einer Woche nicht mehr da.« Grimmige Entschlossenheit trat in sein Gesicht. »Und ich muss da auch nicht mehr hin.«
    Hambrock fragte sich, ob das der Grund war, weshalb Fabio aufgetaucht war.
    »Es gibt aber eine Schulpflicht in Deutschland, das weißt du doch. So einfach ist das nicht. Außerdem …« Er suchte Fabios Blick. »Was willst du denn ohne Schulabschluss machen?«
    »Irgendeinen Job finde ich schon.«
    »Ja, und dann? Wo soll die Reise hingehen? Du weißt doch, was für Jobs das sind, die man ohne Abschluss machen kann. Willst du für den Rest deines Lebens bei McDonald’s stehen? Oder auf dem Bau Steine schleppen? Was ist, wenn du vierzig bist?«
    Er hörte sich ein bisschen an wie seine Tante Margot, fand Hambrock, aber was sollte er machen? Es war nun mal die Wahrheit.
    »Ich geh da nicht mehr hin«, meinte Fabio düster. »Seit dieser Sache …« Damit meinte er offenbar den Umstand, dass sein Vater seine Mutter erschlagen hatte. »Seitdem … Die Idioten haben es auf mich abgesehen. Die wissen jetzt, wo sie mich kriegen. Das ist scheiße, wenn du eine Schwäche hast. Dann machen die dich platt.«
    »Du meinst deine Mitschüler?«
    »Klar. Für die bin ich jetzt das perfekte Opfer.«
    Er warf erneut den Ball zum Korb. Und wieder: Treffer.
    Hambrock wusste nicht, was in so einem Fall passierte. Sicher würde die Schulaufsicht informiert werden. Oder das Jugendamt. Die würden dann bei Fabios Oma auftauchen. Aber das würde wohl kaum etwas bringen.
    »Ich geh da nicht mehr hin«, sagte Fabio nochmals.
    »Dann musst du dir was einfallen lassen. Glaub mir, ohne Schulabschluss, das ist nix. Du …« Er dachte nach. »Du kannst dir helfen lassen. Für so was gibt es Stellen. Ich habe von einem Schulverweigererprojekt gehört, das muss ganz toll sein. Am besten gehst du zum ASD. Die können dir weiterhelfen. Und wenn sie dir einfach nur die Adresse von diesem Projekt geben. Da würde ich’s an deiner Stelle versuchen.«
    Fabio betrachtete ihn verständnislos.
    »Du weißt nicht, was der ASD ist? Das ist der Allgemeine Soziale Dienst.« Hambrock zückte Kuli und Notizblock, schrieb die Adresse auf, riss den Zettel raus und gab ihn Fabio. »Hier findest du den Laden. Geh da hin. Die sagen dir, was zu tun ist.«
    Fabio nickte stumm und steckte den Zettel ein. Am liebsten hätte Hambrock ihn ins Auto gesetzt und dort hingefahren. Aber das war nicht seine Baustelle. Er konnte sich nicht um diesen Jungen kümmern.
    »Und wenn du da gewesen bist, Fabio, dann meldest du dich noch mal bei mir. Nur damit ich weiß, dass alles geklappt hat.«
    Er nickte wieder. Gut. Hambrock wollte sich schon verabschieden, als er merkte, dass Fabio noch über etwas grübelte.
    »Soll ich mich denn mal umhören wegen diesem Lennard?«, fragte der Junge schließlich. »Kostet ja nichts.«
    Er wollte den Schein aufrechterhalten. Es sollte nicht so aussehen, als ob er bedürftig wäre. Es gab schließlich einen vorgeschobenen Grund, weshalb er gekommen war. Daran wollte er erinnern.
    »Das brauchst du nicht, Fabio. Es ist gut, dass du gekommen bist. Aber der Fall ist abgeschlossen. Alle Fragen sind beantwortet.«
    Und schon gar nicht brauchte Hambrock irgendwelche Informationen, die über mehrere Ecken und nur vom Hörensagen stammten. Aber das behielt er lieber für sich.
    »Ich dachte nur, ich frag Sie mal.«
    »Ja, und das war eine gute Idee. Nur in diesem Fall ist es wirklich nicht nötig. So, und jetzt muss ich weiter. Mach’s gut, Fabio. Und ruf mich an, wenn du beim ASD warst.«
    Fabio nickte. Plötzlich wirkte er etwas verloren, wie er da mit dem Ball unterm Arm in der Kälte stand. Hambrock lächelte ihm zu, zwinkerte, dann drehte er sich um und ging zu seinem Auto.
    Er konnte sich nicht um die verlorenen Seelen kümmern, die ihm bei seiner Arbeit begegneten. Distanz war das Wichtigste in seinem Job. Wo sollte das sonst hinführen? Er würde untergehen.
    Später erwachte Hambrock vom Geräusch der Wohnungstür, die ins Schloss fiel. Er lag auf der Couch unter einer Wolldecke, in der Zimmerecke lief der Fernseher. Er fragte sich, ob seine Frau Erlend bereits von der Arbeit nach Hause kam. Wie spät war es
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