Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht
Autoren: Stefan Holtkoetter
Vom Netzwerk:
überhaupt? Hatte er denn so lange geschlafen?
    Er hob den Kopf. Sein Nacken machte sich schmerzhaft bemerkbar. Die Sofalehne war nicht unbedingt als Kopfkissen geschaffen.
    »Hast du etwa den ganzen Nachmittag geschlafen?«
    Erlend tauchte in ihrem Ledermantel vor der Couch auf.
    »Ich hab heute Mittag im Präsidium angerufen, da hieß es, du wärst nach Hause gegangen.«
    Er blickte sich verstört um. »Wie spät ist es denn?«
    Erlend schien Gefallen an seinem Zustand zu finden. In ihren Augen blitzte es.
    »Und ich habe in der Uni allen gesagt, mein Mann ist heute zu Hause. Bestimmt überrascht er mich, ihr wisst doch: Mein Mann, der große Hobbykoch. Er liebt es, mich zu verwöhnen. Ich kann’s kaum erwarten, nach Hause zu kommen.«
    »Elli, bitte. Lass mich erst wach werden.«
    Sie lachte, beugte sich zu ihm herab und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.
    »Lass dich nicht ärgern«, flüsterte sie. »Schön, dass du endlich ein bisschen freimachst. Ich kann’s noch gar nicht fassen, dich tatsächlich mal zu Hause zu sehen.«
    »Ich auch nicht. Kein Wunder, dass ich als Erstes den Tag verschlafe.« Er setzte sich auf und gähnte. »Es fühlt sich gut an, mal nicht zu arbeiten. Und ich hatte mir tatsächlich vorgenommen zu kochen.«
    »Ach, das war nur Spaß. Lass uns doch zum Japaner gehen. Oder noch besser, wir lassen uns das Essen vom Japaner bringen. Und machen es uns hier richtig gemütlich.«
    »Hört sich toll an«, sagte er verschlafen.
    Sie drückte ihm einen weiteren Kuss auf den Mund, dann stand sie auf. »Ich koch dir erst mal einen Kaffee«, sagte sie und verließ den Raum.
    Hambrock reckte sich. Kaffee wäre gut. Vielleicht sollte er auch noch schnell duschen. Er sah zum Fernseher. Der WDR war eingeschaltet und es lief die Aktuelle Stunde. Bestimmt würde ein kurzer Bericht über die Gerichtsverhandlung kommen. Er nahm die Fernbedienung und stellte den Ton lauter. Nach ein paar Minuten erschien auf dem Bildschirm tatsächlich die Fassade des Landgerichts, dann das Blitzlichtgewitter bei der Eröffnung, die Zuschauerströme und die drei Angeklagten, die sich schützend die Hände vors Gesicht hielten. Ein Sprecher fasste nochmals den Hintergrund des Geschehens zusammen. Im vergangenen Sommer hatte die Gewalttat tagelang die Öffentlichkeit in Atem gehalten. Die Verhandlung wurde nun ebenfalls aufmerksam verfolgt. Ein Überblick über den Verhandlungstag wurde gegeben, doch für Hambrock war nichts Neues dabei.
    »Das bist ja du!«, rief Erlend, die in der offenen Tür stand. Sie zeigte mit der ausgestreckten Hand auf den Fernseher.
    Tatsächlich. Hambrock sah sich selbst vor dem Eingang des Landgerichts, wo er mit Henrik Keller stand und redete. Seltsam. Er hatte die Kamera gar nicht bemerkt.
    »Mein berühmter Ehemann!«, meinte Erlend lächelnd.
    Dann war das Bild weg, der Studiosprecher erschien und das Thema war beendet. Jetzt ging es um die bevorstehenden Kommunalwahlen. Erlend lehnte sich in den Türrahmen.
    »Wie war’s denn überhaupt?«, fragte sie. »Du bist doch heute befragt worden, oder?«
    »Ja. Es war deprimierend. Die Angeklagten sahen aus wie drei Schuljungen. Wie Kinder.«
    »Es sind ja praktisch auch noch Kinder. Das macht die ganze Sache so unheimlich.«
    »Alle drei Gymnasiasten aus sogenannten guten Familien.«
    Erlend stieß die Luft aus. »So viel zum Thema: Wir haben ein Unterschichtenproblem. Die ganzen Nasen bei mir in der Uni tun ja gerne so, als ginge sie das alles nichts an. Die hätten es wohl lieber, wenn das ein paar verwahrloste Ghettokinder aus Coerde oder Kinderhaus gewesen wären, die durchgedreht sind. Das hätte denen besser ins Gesamtbild gepasst.«
    »Tja«, meinte Hambrock. Und im Grunde gab es auch nicht mehr dazu zu sagen, fand er.
    »Was mich noch an der Sache fertig macht ist, dass da keiner geholfen oder eingegriffen hat«, sagte Erlend.
    »Einer hat sofort die Polizei gerufen. Immerhin.«
    »Das hat dem Opfer auch nicht geholfen. Die hätten doch irgendwie eingreifen müssen.«
    »Ach, Elli. Die dachten, das sind ein paar besoffene Idioten, die sich prügeln. Wer mischt sich denn da ein? Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Die Leute hatten Schiss. Was hättest du denn gemacht, nachts an einem einsamen Bahnhof?«
    »Keine Ahnung. Lärm geschlagen auf jeden Fall.«
    Hambrock zuckte mit den Schultern. Er schaltete den Fernseher aus.
    »Lass uns über was anderes reden«, meinte er.
    Erlend nickte. »Ich hol mal die Karte vom Japaner.«
    Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher