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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
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gekommen, die Bombe platzen zu lassen.
    Trotzdem. Auch wenn äußerlich vieles unverändert blieb, unter der Oberfläche rumorte es. Was wäre, wenn Marius tatsächlich alles hinter sich ließe? Wenn er und Nathalie zusammen ein neues Leben aufbauten? Der Gedanke war furchteinflößend. Wahnwitzig. Und trotzdem wagte er ihn zu denken. Was wäre, wenn er aus dem Gefängnis ausbräche, das sein Leben war?
    Er ließ seinen Blick durch den Waggon schweifen. In einer Vierersitzgruppe hockte ein Junge mit coolen Ghettoklamotten. Weite Hosen, eine ballonseidene Trainingsjacke und ein viel zu großes Basecap. Der Aufzug passte so gar nicht zu seinem auffallend hübschen Gesicht. Etwas Engelsgleiches lag darin, ein blondes Jüngelchen. Man nahm ihm den Gangsterlook nicht ab. Auf seiner Jacke war ein Name aufgestickt: Lennard. Sein Gegenüber konnte Marius nicht erkennen, eine Sitzreihe versperrte den Blick. Er konnte nur die Umrisse eines bulligen Typen ausmachen, doch das war schon alles. Die beiden schienen etwas Wichtiges zu besprechen. Sah man in das Gesicht des hübschen Jungen, konnte man auf den Gedanken kommen, sie planten einen Banküberfall oder so etwas.
    Marius achtete nicht weiter auf sie und sah wieder zum Fenster. Seine Gedanken wanderten zu Nathalie, und kurz darauf hatte er den hübschen Jungen und sein Gegenüber bereits vergessen. Nathalie.
    Beim letzten Abendessen hatte Marius klammheimlich alle am Tisch beobachtet. Was würden sie sagen, wenn sie Nathalie zu Gesicht bekämen? Sein Vater würde ihm bestimmt ein rein sexuelles Interesse unterstellen, schließlich hatte Nathalie etwas Exotisches an sich. Ja, das wäre typisch für ihn. Vielleicht würde er dümmlich grinsen und Nathalie einen verächtlichen Blick zuwerfen. Bei seiner Mutter war das schwieriger zu sagen. Eine Begegnung zwischen den beiden war kaum vorstellbar. Seine Mutter war schweigsam, kontrolliert und kühl. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie jemals laut gelacht hätte. Wie würde sie auf die temperamentvolle und lebenslustige Nathalie reagieren? Seine beiden pubertierenden Brüder hätten sicher weniger Probleme. Mit ihrem Hormonstau würden sie auf Nathalies ausgeprägte Kurven begeistert reagieren. Sicher würden sie die neue Freundin ihres großen Bruders anbeten. Eine zweifelhafte Ehre zwar, aber wenigstens wäre es eine positive Reaktion. Nicole dagegen würde Nathalie hassen, davon war er überzeugt. Seine Schwester hatte viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Sie war humorlos, verbissen und distanziert. Und sie hatte einen ungeheuren Standesdünkel. Schon deshalb hätte Nathalie keine Chance bei ihr.
    Marius und Nathalie schmiedeten Pläne. Heimlich und meist in ihrem WG-Zimmer, wenn sie tief in der Nacht nach dem Sex auf dem Bett saßen und rauchten.
    »Wenn ich wirklich abhauen will, dann muss ich auch aus Münster weg«, sagte Marius. »Ich muss woanders studieren.«
    »Aber warum? Wir suchen uns einfach eine Wohnung, und dann ziehst du aus. Dein Vater hat doch hier in Münster keinen Einfluss auf dich. Er arbeitet ja nicht an der Uni. Was kann dir schon passieren?«
    »Da kennst du aber meinen Vater schlecht. Nein, ich muss aus Münster weg. Und zwar weit weg. Irgendwohin, wo er keinen kennt. Am besten wäre es, er wüsste nicht einmal, wo ich lebe.«
    Nathalie dachte nach. »Ich kann Kunstgeschichte und Literatur auch in Köln studieren. Vielleicht…«
    Marius lachte. »Nicht Köln. Mindestens Berlin. Wie wär’s, wenn wir ins Ausland gehen? In die USA vielleicht, falls das irgendwie geht. Oder nach England.«
    Sie würden Geld brauchen. Nathalie machte sich deshalb überhaupt keine Sorgen, doch Marius war da ein bisschen zurückhaltender. Was für einen Job sollte er denn auch machen? Er hatte bisher nur im Unternehmen seines Vaters gearbeitet. Ein Zeugnis würde er wohl kaum bekommen. Andere Referenzen hatte er nicht.
    »Falls du nichts findest, kellnerst du eben«, war Nathalies Kommentar.
    »Ich weiß nicht. Kannst du dir vorstellen, wie ich in einer Kneipe jobbe?«
    »Hinter der Bar schon«, sagte sie und schmiegte sich an ihn. »Als Barkeeper in einer Cocktailbar. Das kann ich mir sogar gut vorstellen. Du würdest hinreißend aussehen, und ich müsste jeden Abend am Tresen sitzen und die Frauen im Auge behalten.«
    Marius ließ sich von ihrer Unbekümmertheit anstecken. Nathalie hatte recht: Es war blöd, zu viel übers Geld nachzudenken. Das würde schon irgendwie funktionieren. Auch ohne dass er kellnerte.
    Nur

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