Landgericht
einziger Kommentar zu den Geschehnissen gewesen. »Ich hab gleich gesagt, das bringt nichts, so ein Balg auszutragen.« Im Grunde hatte Hambrock gar keinen Trost zu spenden, trotzdem schien der Junge dankbar für das Gespräch zu sein. Es tat ihm sichtlich gut, von einem Erwachsenen ernst genommen zu werden. Er war ein kleiner Kämpfer, ganz tapfer und entschlossen. Von nichts auf der Welt wollte er sich unterkriegen lassen. Dabei wirkte er gleichzeitig so bedürftig, dass es Hambrock beinahe das Herz brach.
Er verscheuchte den Gedanken an diesen Fabio. Es brachte nichts, Fälle mit nach Hause zu nehmen. Distanz war wichtig in seinem Job. In den nächsten Tagen würde er sich entspannen. Etwas mit seinen Händen machen. Der Küchenschrank musste repariert werden. Vielleicht würde er danach das Arbeitszimmer seiner Frau tapezieren. Irgendwas fand sich bestimmt. Hauptsache, er grübelte nicht.
»Bernhard Hambrock?«
Er öffnete die Augen. War er für einen Moment eingenickt? Vor seiner Bank stand der Gerichtsdiener in seiner Uniform. Hinter ihm die offene Saaltür.
»Darf ich Sie jetzt bitten?«
»Ach so. Natürlich.« Hambrock reckte sich. »Entschuldigen Sie.«
Der Gerichtsdiener zwinkerte verschwörerisch und kehrte dann mit ernster Miene in den Saal zurück. Hambrock stand auf und folgte ihm. Stickige, verbrauchte Luft schlug ihm entgegen. Die Zuschauerreihen des Saals waren überfüllt. Für die Presse waren zusätzliche Stühle herbeigeschafft worden. Mit Laptops und Kameras auf dem Schoß hockten sie dicht gedrängt beisammen und blickten Hambrock neugierig entgegen. Ein paar bekannte Gesichter von der Lokalpresse waren dabei, doch viele der Journalisten kamen offenbar von den großen überregionalen Zeitungen.
Hambrock trat ein. Es fühlte sich an, als beträte er eine Theaterbühne. Jenseits der Absperrung, auf der Seite des Gerichts, saß ebenfalls eine Menge Leute, die Hambrock neugierig entgegenblickten. Staatsanwaltschaft, Verteidigung, die Nebenkläger, deren Anwälte, die drei Angeklagten und schließlich der Tross auf der Richterbank: Beisitzer, Schöffen, Gerichtsschreiber, Diener.
Den Vorsitz hatte Richterin Schniederjohann, eine große Frau mit kräftigen Locken und breiten Wangenknochen. Im Grunde eine Schönheit, wären da nicht kleine Unstimmigkeiten, die das Bild verzerrten. Ihre Statur war ein bisschen zu robust, der Kiefer zu wuchtig, der Mund zu breit, und ihre Stimme klang so laut und schneidend, dass es einen regelrecht durchfuhr. Bei einer Unterhaltung in der Gerichtskantine hatte sie Hambrock einmal erzählt, dass sie wie er von einem Münsterländer Bauernhof stammte.
Nach einer förmlichen Begrüßung bat sie ihn, auf dem Zeugenstuhl Platz zu nehmen. Er nannte Name, Alter und Dienstgrad, und der Gerichtsschreiber begann eifrig zu tippen.
Die Stimme der Richterin hallte durch den Gerichtssaal. »Sie kennen das Prozedere ja, Herr Hambrock. Trotzdem der Form halber: Sind Sie mit den Angeklagten verwandt oder verschwägert? Ich frage Sie das, weil Sie in dem Fall von Ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen können.«
Hambrock blickte zur Anklagebank. Neben den Anwälten in ihren Roben saßen die drei Angeklagten mit hochgeschlossenen Hemden und gescheitelten Haaren. Die Schläger, die Marius Baar am Bahnhof in Gertenbeck totgeprügelt hatten. Es waren achtzehnjährige Gymnasiasten, und im Grunde sahen sie noch aus wie Kinder. Sie saßen aufrecht da, wie bei einer mündlichen Schulprüfung. Die Gesichter waren leichenblass, die Augen rot gerändert, und den Blick hielten sie starr zu Boden gerichtet – als warteten sie darauf, dass endlich jemand rief: »So, vergesst einfach alles. Und jetzt raus mit euch zum Fußballspielen.« Diesen Eindruck hatte Hambrock bereits während der gesamten Vernehmungen gehabt.
»Nein, weder verwandt noch verschwägert«, sagte er.
»Dann muss ich Sie noch darauf hinweisen, dass Sie zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtet sind. Falschaussagen werden vom Gesetzgeber als schwere Straftat angesehen, das wissen Sie ja. Ein Meineid ist ein Verbrechen.« Sie lehnte sich zurück. »So, dann hätten wir das. Herr Hambrock, Sie wissen, worum es geht. Wir wollen den Tod von Marius Baar aufklären. Als Leiter der Gruppe für Kapitalverbrechen waren Sie der Hauptsachbearbeiter. Könnten Sie dem Gericht einen Überblick über die Ereignisse geben? Aus Ihrer Sicht, versteht sich.«
»Sehr gern.« Im Augenwinkel sah er, wie einer der Journalisten
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