Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
Vom Netzwerk:
sehen.«
    Marius lächelte. Dem Gesichtsausdruck seines Bruders nach zu urteilen, schien das keines seiner dringlichsten Probleme zu sein.
    »Du warst lange weg«, sagte Nils.
    »Ja, ich war ein paar Nächte in Münster. An der Uni ist gerade ziemlicher Stress. Examen und so, du verstehst schon. Deshalb bin ich dageblieben. Es war mir zu umständlich, jeden Abend nach Gertenbeck zu fahren.«
    »Ich werde nicht studieren, so viel weiß ich schon«, stellte Nils fest. »Da hab ich echt keinen Bock drauf. Ich mach eine Ausbildung.«
    »Weiß Vater das schon?«
    »Ist mir egal, was der dazu sagt.«
    Marius stieß die Luft aus. Dazu war das letzte Wort noch nicht gesprochen, so viel war sicher. Er betrachtete Nils. Plötzlich fühlte er sich mies. Ausgerechnet seinem kleinen Bruder tischte er hier Lügen auf. Examensstress. Als wenn er in den letzten Tagen auch nur ein einziges Mal an sein Studium gedacht hätte.
    »Na ja, ehrlich gesagt, habe ich in Münster gar nicht so viel für die Uni gemacht. Das hab ich nur erzählt, um keinen Ärger zu kriegen.«
    Nun sah Nils interessiert auf.
    Marius zögerte.
    »Ich hab eine Freundin«, sagte er dann.
    »Echt?« Nils machte große Augen. »Eine Freundin? Aus Münster?« Und dann schossen die Fragen auf Marius nieder. »Wie heißt sie? Studiert die mit dir zusammen? Hat sie Geschwister? Haben ihre Eltern auch ein Unternehmen?«
    Marius lachte. »Stopp, stopp. Sie heißt Nathalie. Aber sag es noch keinem. Das möchte ich selber machen.«
    »Und wie sieht sie aus? Wohnt sie in Münster?«
    »Sie…« Marius begann zu lächeln. »Sie ist wunderschön.«
    »Bringst du sie mal mit?«, fragte Nils.
    Doch im nächsten Moment erlosch jegliche Begeisterung. »Ach nein«, gab er sich selbst die Antwort. »Bestimmt nicht.«
    Marius sagte nichts dazu. Sein pubertierender Bruder schätzte das Familiengefüge ganz richtig ein. Wenn einem wirklich etwas an einem Mädchen lag, brachte man es besser nicht mit nach Hause.
    »Meinst du, Papa würde sie mögen?«, fragte Nils.
    »Nein«, sagte Marius. »Das glaube ich nicht.«
    Nils starrte auf die Tastatur. Er wirkte betreten. Aber sollte Marius ihm lieber weitere Lügen auftischen? Der Junge wusste ja selbst, was los war. Es hatte keinen Sinn, ihn zu schonen. Ihr Vater würde Nathalie niemals akzeptieren.
    »Papa und Nicole hatten einen Streit«, sagte Nils unvermittelt.
    »Einen Streit?«
    »Ja, gestern. Ich war total genervt.«
    »Und worum ging es da?«
    »Ach, keine Ahnung. Ums Unternehmen. Die haben rumgeschrien, als wollten sie sich an die Kehle gehen. Den ganzen Nachmittag ging das, ich dachte schon, es fließt gleich Blut.«
    Einen Streit ums Unternehmen? Die beiden waren doch sonst immer einer Meinung, wenn es um die Firma ging. Manchmal kam Marius gar nicht dazwischen, wenn die beiden miteinander fachsimpelten. Kaum vorstellbar, dass sie ausgerechnet wegen des Unternehmens aneinandergerieten.
    Zaghaft fügte Nils hinzu: »Und es ging um dich.«
    Das schien ihm nun ein bisschen peinlich zu sein.
    »Um mich? Wieso das denn? Weil ich in der letzten Woche nicht da war?«
    »Nein, eher… weil…«
    »Jetzt sag schon.«
    »Nicole meinte, die Firma geht den Bach runter, wenn du das Ruder übernimmst. Du hättest keine Ahnung vom Geschäft, und das würde sich auf das gesamte Unternehmen auswirken. Und Papa soll an sein Lebenswerk denken. Ob er denn will, dass alles, was er aufgebaut hat, in schlechte Hände gerät. Und so weiter. Papa hat dann rumgeschrien, von wegen: Untersteh dich, so mit mir zu sprechen. Bla bla bla. Da sind richtig die Fetzen geflogen.«
    Marius war sprachlos. Versuchte Nicole tatsächlich, hinter seinem Rücken das Ruder an sich zu reißen? Riskierte sie dafür einen offenen Streit mit ihrem Vater? Marius konnte das kaum glauben. Er hatte niemals den Mut gehabt, sich mit seinem Vater anzulegen. Ging Nicole damit nicht ein zu hohes Risiko ein? Ihr Vater hasste es, wenn man ihm widersprach. Würde das die beiden vielleicht entzweien? Oder hatte sein Vater am Ende sogar Respekt vor Nicoles Mut, sich offen mit ihm anzulegen? Schwer zu sagen.
    Marius wusste nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte. Es war keine Neuigkeit, dass Nicole am liebsten seinen Platz einnehmen würde. Sie hielt sich für geeigneter, und wahrscheinlich hatte sie damit sogar recht. Neu war jedoch, dass sie offensiv dafür kämpfte. Marius musste darauf reagieren. Unter Umständen konnte er Kapital daraus schlagen, dass Nicole ihre Taktik

Weitere Kostenlose Bücher