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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht
Autoren: Stefan Holtkoetter
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Garten führte, wirkte der Raum dunkel. Das lag wohl an der Einrichtung, die ganz im Baustil des gesamten Bungalows gehalten war: Design der Siebziger, klare Linien, hochwertige Materialien, alles in Grau- und Blautönen.
    Am gedeckten Tisch saß sein Vater und las in der Zeitung. Wie an jedem Abend war er der Erste am Esstisch, nahm die Zeitung und blätterte durch den Wirtschaftsteil. Ein festes Ritual, das er seit Jahren pflegte.
    »Guten Abend, Vater«, sagte Marius.
    Ein kurzer Blick unter hochgezogenen Augenbrauen, dann wandte er sich wieder der Zeitung zu. Es fiel kein weiteres Wort zwischen ihnen.
    Marius setzte sich. Er nahm Haltung an, ganz automatisch. Das machte der Raum. Die Atmosphäre. In einer Kirche würde er sich ja auch nicht einfach auf eine Bank flegeln. Seine Mutter kam mit einer Salatschüssel aus der Küche und stellte sie auf den Tisch. Sie nickte Marius kurz zu und murmelte einen Gruß. Mehr sagte auch sie nicht.
    Im gleichen Moment betrat Nicole den Raum. Der Blick, den sie Marius zuwarf, sprach Bände. Oh ja, sie wusste über Nathalie Bescheid. So viel Überlegenheit und Verachtung hatte er selten bei ihr gespürt.
    Es war ihr Vater, der schließlich das Schweigen brach.
    »Wir haben hohen Besuch heute«, stellte er fest, ohne von der Zeitung aufzublicken.
    Marius spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Das war die Art seines Vaters, ihn willkommen zu heißen.
    »Klaus«, ermahnte ihn seine Frau. »Nicht beim Essen.«
    Der Vater schlug die Zeitung zusammen. »Wo bleibt denn der Rest der Familie? Wird in diesem Haushalt kein Wert mehr auf Pünktlichkeit gelegt?«
    Marius’ Mutter streckte den Kopf durch die Tür und rief die Namen seiner jüngeren Brüder: »Roland! Nils! Wo bleibt ihr denn?«
    Dann verschwand sie wieder in der Küche. Nicole blickte ihn über den Tisch hinweg wortlos an. Die kühle Schönheit. Blond, blauäugig, empfindungslos. Ihre Augen fixierten ihn. Sie wollte, dass er den Blick senkte. Auf keinen Fall, sagte er sich. Doch das war gar nicht so leicht. Er hielt es nicht aus, von ihr angestarrt zu werden. Nicht heute. Als seine Brüder hereinkamen, konnte er ihnen den Blick zuwenden, ohne zu verlieren. Ein Remis.
    »Hallo, Marius«, rief Nils. Sein dreizehnjähriger kleiner Bruder schien sich tatsächlich zu freuen, ihn zu sehen. Als Einziger hier. »Cool. Bist du jetzt wieder jeden Abend hier?«
    Peinliches Schweigen. Roland folgte. Er war nur zwei Jahre älter als Nils, sah aber fast schon wie ein Erwachsener aus. Er würdigte Marius kaum eines Blickes.
    »Leg doch endlich die Zeitung beiseite, Klaus«, sagte seine Mutter und machte sich daran, das Essen zu verteilen.
    Sie kochte jeden Abend selbst, Marius hatte keine Ahnung, weshalb sie sich das antat. Schließlich hatten sie ein Hausmädchen. Aber seine Mutter wollte aus für ihn unbegreiflichen Gründen neben der Arbeit im Unternehmen auch noch die perfekte Hausfrau sein.
    Sein Vater warf einen finsteren Blick in die Runde, dann senkte er den Kopf und begann zu essen. Bleierne Schwere legte sich über Marius. Der Gedanke, aus diesem Leben zu entfliehen, löste Schwindel in ihm aus. War das Angst oder Freude?
    Sein Vater schien zu spüren, dass Marius mit den Gedanken woanders war. Etwas passierte hinter seinem Rücken, und so etwas duldete er nicht.
    »Bist du morgen in der Firma?«, fragte er.
    Es klang mehr wie ein Vorwurf als wie eine Frage.
    »Ich…« Marius holte Luft. Er war mit Nathalie verabredet. »Ich habe eigentlich eine wichtige Vorlesung. Deshalb… Ich meine…«
    »Morgen kommen die Softwareentwickler wegen des neuen Buchhaltungsprogramms. Die müssen betreut werden. Traust du dir das zu, oder ist das zu viel für dich?« Die Stimme triefte vor Verachtung.
    »Ich…« Er schaffte es nicht. Er konnte ihm nicht die Stirn bieten.
    »Was ist jetzt? Kann ich mit dir rechnen oder nicht?«
    Stille. Natürlich konnte er mit ihm rechnen. Marius würde sich fügen, er konnte nicht anders.
    »Ja, Vater«, sagte er.
    »Ich kann mich nicht darum kümmern, morgen kommen Kunden aus Österreich. Das geht vor.«
    »Von diesem Landhandel aus der Steiermark?«, fragte Nicole interessiert. »Das heißt, du hast sie an der Angel?«
    »Ja, sieht so aus.« Er nickte zufrieden. »Gut möglich, dass wir morgen einen neuen Großkunden gewinnen. Österreich ist ein aufregender Markt. Wer weiß, was noch kommt, wenn wir die erst haben.«
    Man sah es Nicole an: Sie wäre gerne dabei gewesen. Doch sie verbat sich die
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