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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht
Autoren: Stefan Holtkoetter
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auftreten können.
    »Aber das hat nicht funktioniert«, sagte er.
    »Ach was, kein Stück. Jedoch wuchs währenddessen Nicole heran, die im Gegensatz zu ihrem Bruder begeistert war von der Arbeit in der Firma. Weil die Unternehmensleitung ihrem Bruder überlassen blieb, hat sie sich stattdessen in die Produktionsmaterie eingearbeitet. Ist Agraringenieurin geworden und hat sich auf Futtermittel spezialisiert. Fachlich konnte sie ihren Bruder nun dreimal in die Tasche stecken. Und dann stellte sich nach und nach heraus, dass sie darüber hinaus die geborene Unternehmerin ist. Sie hat dieses Gespür fürs Geschäft, das Feuer, das man braucht. Marius hat sie dafür gehasst. Doch er konnte das nicht ändern. Und Klaus Baar, der Patriarch, hat einfach beide Augen davor verschlossen. Marius war sein Sohn, und er sollte eines Tages das Unternehmen führen. Daran war nicht zu rütteln. Nicole und Marius haben sich gegenseitig leidenschaftlich gehasst. Aber ändern konnten sie nichts. Na ja, und jetzt ist Marius plötzlich tot, und Nicole ist mit einem Mal die rechtmäßige Thronfolgerin. Ich sag ja, es ist wie bei einem alten Königsdrama.«
    »Etwas weniger bunt, und wir nähern uns der Wahrheit«, meinte Hambrock. »Trotzdem möchte ich daran erinnern, dass diese Leute vor kurzem Opfer einer schrecklichen und sinnlosen Gewalttat geworden sind. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn nach einem Todesfall so über meine Familie gesprochen würde.«
    »Ach, Hambrock, lass mir doch meine Freude.« Er stieß wieder ein hustendes Lachen aus. »Ich arbeite schließlich in keiner Behörde. Ein bisschen Fabulierlust muss schon erlaubt sein.«
    Klaus Baar sprang in diesem Moment von der Bank auf. Seine Anwälte tauchten auf. Er ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen, sondern redete sofort ununterbrochen auf sie ein. Nicole Baar erhob sich ebenfalls. Ihr Blick fiel auf Hambrock und Hubertus Meyer. Sie schien zu ahnen, dass die beiden sich über sie unterhielten. Sie warf ihnen einen finsteren Blick zu, dann wandte sie sich voller Abscheu ab und schloss zu ihrem Vater auf.
    »Siehst du, das kommt dabei heraus«, kommentierte Hambrock.
    »Ich sag ja schon nichts mehr.« Hubertus Meyer sah zu den Aufzügen. »Wir sollten in die Kantine gehen. Sonst ist die Pause vorbei, ohne dass wir unseren Kaffee bekommen haben.«
    »Das stimmt. Lass uns hochfahren.«
    Hambrock blickte sich noch einmal zu der kleinen Gruppe im Lichthof um, dann wandte er sich ab und folgte Hubertus Meyer zum Fahrstuhl.
    Ihr Vater regte sich wieder einmal furchtbar auf, gestikulierte herum und redete wild drauflos. Nicole hörte gar nicht richtig zu. Die schleimigen Anwälte, die genau wussten, wer sie bezahlte, machten aufmerksame und verständnisvolle Gesichter. Sie taten so, als wäre es bedeutend, was ihr Vater da redete. Dabei verschaffte der sich doch nur Luft mit seinen Reden.
    Sie sah den beiden Männern hinterher, die zum Fahrstuhl gingen. Bernhard Hambrock und einer dieser Journalisten. Nicole fragte sich, was der Leiter der Mordkommission hier überhaupt noch verloren hatte. Mit seiner gestrigen Aussage war der Fall für ihn offiziell abgeschlossen. Doch jetzt setzte er sich in den Zuschauerraum und sprach während der Pausen mit den Presseleuten über ihre Familie. Dass die beiden nämlich über sie gesprochen hatten, darauf hätte sie schwören können.
    Die Aufzugtür glitt auf, und die beiden Männer verschwanden im Innern. Nicole verscheuchte das ungute Gefühl, das sich ihr aufgedrängt hatte. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen, schließlich war die Polizei unfähig. Das hatte sich schon während der Ermittlungen gezeigt. Offiziell gab es keine Verbindung zwischen Lennard Müller und der Familie Baar, daran hatten die Ermittlungen nichts geändert. Und dabei würde es auch bleiben, ganz egal, ob dieser Kommissar hier herumlief oder nicht.
    Sie wandte sich wieder ihrem Vater und den Anwälten zu. Der Dampf war offenbar abgelassen, denn ihr Vater beruhigte sich wieder, und jetzt bekamen die Anwälte die Chance, Stellung zu nehmen. Nicole heuchelte Interesse. Nicht mehr lange, dachte sie, nur noch ein paar Verhandlungstage, dann ist alles vorbei, und wir können uns wieder mit ganzer Kraft der Firma widmen.

9
    Marius betrat das Esszimmer der elterlichen Villa. Ein großer schlichter Raum mit weiß verputzten Wänden und einem dicken Teppich, der jedes Geräusch schluckte. Es war still wie in einem Grab. Trotz des Panoramafensters, das zum
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