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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
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geändert hatte. Er musste umsichtig handeln. Das Richtige tun. Vielleicht wäre es das Beste, ganz vorsichtig das Gespräch mit seinem Vater zu suchen.
    »Wenn ich alt genug bin, hau ich ab«, sagte Nils.
    Das holte Marius sofort zurück.
    »Was sagst du da?«
    »Warum denn nicht? Interessiert sich doch eh keiner für. Ich hau ab. Und dann kann mir keiner in mein Leben reinreden. Dann mach ich mein eigenes Ding.«
    Marius war überrascht. Nils war das Nesthäkchen und hatte niemals ernsthaften Ärger mit seinen Eltern gehabt. Das meiste ließen sie ihm durchgehen. Doch offenbar ging es ihm genauso wie Marius.
    Schweigen breitete sich aus. Marius dachte an Nathalie. Abhauen. Seit Tagen dachte er an nichts anderes. Doch bei seinen Eltern zu Hause fühlte sich alles nur wie ein Traum an.
    »Ich kann dich verstehen«, sagte er. »Trotzdem tut es mir leid, dass du so denkst.«
    »Ach, Quatsch. Die nerven doch alle. Wenn ich alt genug bin, war’s das hier. Versprochen.« Neugierig betrachtete er seinen älteren Bruder.
    »Warum haust du eigentlich nicht ab?«
    Marius wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
    »Lass doch Papa und Nicole zusammen glücklich werden.«
    »Aber… so einfach geht das nicht.«
    Nils schien enttäuscht. Er wandte sich gelangweilt ab, schielte wieder zu dem Warhammer-Spiel auf seinem Computer.
    »Wenn ich du wäre, würde ich abhauen«, meinte er leichthin.
    Dann zog er mit einem Stöhnen seine Schultasche heran.
    »So, ich muss jetzt die bescheuerten Hausaufgaben machen. Sonst wird das nichts mehr heute.«
    Und damit war dieses seltsame Thema zwischen ihnen beendet.

10
    Die Kantine des Landgerichts befand sich im siebten Stockwerk des Gebäudes. Jenseits der Fensterfront bot sich ein großartiger Blick auf die Stadt. Direkt unter ihm lagen der Aasee und der frühlingshafte Zentralfriedhof, hinter dem zarten Grün der Parkanlagen erhoben sich die Bettentürme der Unikliniken. Hambrock hatte sich mit Kaffee und Kuchen an einen Fensterplatz zurückgezogen. Er ließ seinen Blick eine Weile über die Stadtlandschaft schweifen, dann nahm er die Zeitung und schlug sie auf.
    Auf der ersten Seite gab es nur eine kurze Notiz über den Prozess, doch im Lokalteil wurde der letzte Verhandlungstag genauer nachgezeichnet. Der Artikel befasste sich mit dem psychologischen Gutachter, der gestern vor Gericht ausgesagt hatte. Hambrock erinnerte sich an den kleinen freundlichen Mann, der psychologische Profile von den Angeklagten erstellt hatte. Hambrock hatte interessiert zugehört, doch viel Neues war für ihn nicht dabei gewesen.
    Die drei Jungen seien überfordert gewesen von den Anforderungen in der Schule, hieß es. Die enge Taktung der vielen Klausuren habe kaum Zeit zum Lernen gelassen. Dazu sei der Druck gekommen, einen möglichst guten Notendurchschnitt zu erzielen, um überhaupt fürs gewünschte Studienfach zugelassen zu werden. Am Tatabend seien die Jugendlichen dann in Münster gewesen, um eine Abwechslung vom Lernalltag zu erleben. Sie hätten ein bisschen Frust ablassen wollen, und auf dem Rückweg nach Gertenbeck seien sie zudem alkoholisiert gewesen. Besonders der Haupttäter, Lennard Müller, entwickele unter Alkoholeinfluss Aggressionen. Aber auch die anderen beiden seien auf der Suche nach Streit gewesen. Das Ausmaß der Gewalt sei für die drei Jungen im Nachhinein schockierend gewesen. Zu keinem Moment hätten sie jemanden töten wollen. Das Ganze sei dramatisch aus dem Ruder gelaufen, und sie zeigten aufrichtige Reue.
    Der Psychologe hatte eine ganze Weile geredet, doch Hambrock wartete vergeblich auf eine wirkliche Erklärung des Geschehens. Schließlich ging es um ein extremes Maß an Brutalität, um einen menschenverachtenden Vernichtungswillen, wie die Nebenklage es genannt hatte. Doch die Erklärung hierfür blieb auch das psychologische Gutachten schuldig. Die Tat ließ sich kaum mit den drei Jugendlichen in Verbindung bringen, die auf der Anklagebank saßen und am ehesten an harmlose Schuljungen erinnerten, denen nichts dergleichen zuzutrauen war.
    Hambrock schlug die Zeitung zu. Er dachte an die Familie Baar und fragte sich, wie die wohl mit diesen Fragen umging. In jener Nacht war er zu der Villa gefahren und hatte sie unsanft aus dem Bett geklingelt. Es gab nichts Scheußlicheres, als Todesnachrichten an Familienangehörige zu überbringen, doch er gehörte nicht zu denen, die sich davor drückten. Klaus Baar war im Morgenmantel aufgetaucht und hatte wütend die Tür

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