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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
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es seine Eltern nicht allzu lange aushalten. Viel zu eng und vollgestopft. Sie würden den Geruch von Armut nicht ertragen.
    Wenn Marius früher ans Ausziehen gedacht hatte, dann hatte er dabei immer eine eigene Wohnung vor Augen gehabt, so ähnlich wie die Wohnung seines Studienfreundes im Kreuzviertel: zwei Zimmer, Küche, Bad und ein kleiner Balkon. Mehr brauchte man nicht, das genügte fürs Studieren völlig. Dabei wohnten wohl die wenigsten Studenten so. Normal war es viel eher, in Studentenwohnheimen oder kleinen WG-Zimmern zu wohnen, so wie Nathalie. Viel beengter also. Marius erlebte es nun am eigenen Leib, mit wie wenig sich die meisten Studenten begnügen mussten.
    Nathalie hatte sich allerdings nie beschwert, im Gegenteil. Sie schien sich pudelwohl zu fühlen.
    Wie viel Besitz braucht man?, fragte er sich. Wie viel Luxus ist nötig, um sich als Mensch zu fühlen? Kann ich das überhaupt, so reduziert leben? Aber es würde gehen müssen. Besser, er grübelte nicht darüber nach. Außerdem hatte er Nathalie. Und wenn sie bei ihm war, wäre alles andere egal.
    Er nahm ein Handtuch und ging ins Bad. Nachdem er lange und heiß geduscht hatte, zog er sich T-Shirt und Jogginghosen an und setzte sich an den bereits gedeckten Küchentisch.
    Das Essen war köstlich. Nathalie liebte es zu kochen. Am Tisch vergaß er endgültig seine Familie. Sie hockten in der engen und überheizten Küche, aßen, tranken Bier und redeten über alles Mögliche. Ein warmes beschütztes Gefühl breitete sich in ihm aus.
    Es dauerte nicht lange, bis sie über ihre gemeinsamen Pläne sprachen, das Thema, das im Moment alles andere an den Rand drängte. Mikey begann damit.
    »Wie’s aussieht, kann ich mir also bald einen neuen Mitbewohner suchen«, stellte er fest.
    Marius und Nathalie wechselten Blicke und lächelten.
    »Ihr wollt das also wirklich durchziehen?«, fragte Mikey. »Alle Brücken abbrechen? Seid ihr euch ganz sicher?«
    Nathalies Freunde waren allesamt eingeweiht. Im Gegensatz zu Marius’ Freunden, von denen bisher keiner etwas wusste. Manchmal fragte er sich, was Nathalie ihrem Freundeskreis wohl erzählt hatte. Sie verließen schließlich Münster, weil ihr neuer Freund, der Spross einer Unternehmerfamilie, aus seinem Leben ausbrechen wollte. Natürlich war allen klar, dass man nicht ans andere Ende der Welt ziehen musste, um mit seiner Familie zu brechen. Hätte Marius mehr Willenskraft und Charakterstärke, würde er das auch in Münster durchziehen können. Das wäre also das Erste, was all diese Leute über ihn erfuhren: die Tatsache, dass er schwach war.
    »Wisst ihr schon, wo es hingehen soll?«, fragte Mikey. »Bleibt ihr in Deutschland, oder wollt ihr weiter weg?«
    »Wie es aussieht, gehen wir nach Berlin«, sagte Nathalie. »Dort können wir beide unser Studium zu Ende bringen, und die Stadt ist ja auch einfach toll.«
    London und New York waren bei ihrer Planung schnell fallen gelassen worden. »Das können wir uns nicht leisten, wenn dein…«, hatte Nathalie begonnen und beschämt zu Boden gesehen. Wenn dein Vater nicht mehr für dich zahlt, hatte sie sagen wollen.
    »Ich hab Freunde in Berlin, ich kann mich ja mal umhören«, schlug Mikey vor. »Vielleicht weiß jemand eine günstige Wohnung oder so.«
    Marius betrachtete ihn. Da war nichts Abfälliges in seiner Stimme. Ganz im Gegenteil. Er schien sich ernsthaft für ihn und Nathalie zu freuen. Wusste der Himmel, wie Nathalie ihm die Geschichte verkauft hatte, aber offenbar war Marius dabei nicht so schlecht weggekommen wie befürchtet.
    So saßen sie den ganzen Abend zusammen, rauchten, tranken Bier und schmiedeten Pläne. Marius fehlte es an nichts. Richtig gemütlich war es in dieser WG-Küche. Auch auf engem Raum konnte man sich also wohlfühlen. Das wollte er sich merken.
    Irgendwann war das Bier geleert, und Mikey bot sich an, zur Tankstelle zu gehen und noch ein paar Flaschen zu holen. Doch Nathalie hob abwehrend die Hände.
    »Kommt gar nicht infrage. Das ist mein Abend, ich bin heute die Gastgeberin. Also werde ich Bier holen.«
    »Dann begleite ich dich«, sagte Marius.
    »Nein, nein. Du bleibst schön hier. Macht ihr Männer es euch gemütlich. Ich bin gleich wieder da.«
    Satt und schwerfällig, wie sie waren, fiel der Protest verhalten aus. Während Nathalie ihre Jacke überwarf, streckten Marius und Mikey die Beine von sich und zündeten sich eine Zigarette an. Nathalie betrachtete sie mit einem zufriedenen Lächeln und nahm den

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