Landgericht
war Hambrock überzeugt. Die verheimlichte Bekanntschaft zwischen Roland und Lennard spielte wahrscheinlich keine Rolle in dieser Sache. Sie war reiner Zufall. Das Ganze war einfach abwegig.
Hambrock hatte sein zweites Bierglas geleert. Jamaine griff bereits nach einem neuen Glas. Egal wie bekifft er auch wirken mochte, seine Stammgäste hatte er immer fest im Blick.
Hambrock winkte ab. »Lass mal, Jamaine«, rief er. »Ich zahle. Zeit für mich, ins Bett zu gehen.«
»Das ist nicht dein Ernst. Die Party geht doch erst los. Ich denk, du hast morgen frei.«
Hambrock betrachtete die Studenten, die dicht gedrängt in der Kneipe standen. Hinten beim Sofa hatten ein paar junge Frauen zu tanzen begonnen. Er spürte seine Müdigkeit.
»Als wenn ich hier eine Party feiern würde.«
Jamaine grinste. »Tu nicht so, als ob du ein alter Mann wärst.«
Hambrock sparte sich jeden Kommentar, zahlte und verließ die Kneipe. Dunkelheit hatte sich über die Stadt gelegt, und ein kalter Wind ging. Vom Frühling war weiterhin nichts zu spüren. Hambrock überquerte die Straße und zog seinen Schlüssel hervor.
Da entdeckte er eine Gestalt, die in seinem Hauseingang hockte. Sie hatte sich in der Kälte zusammengekauert. Das Gesicht war von einer Kapuze bedeckt. Von Weitem konnte man sie für einen Penner halten. Doch Hambrock ahnte bereits, wer das dort in seinem Eingang war.
Er trat näher. Tatsächlich. Fabio lugte unter dem Rand der Kapuze hervor. Als er Hambrock erkannte, sprang er auf und kam auf ihn zu. Er blickte etwas verlegen drein und vergrub die Hände tief in den Hosentaschen. Offenbar machte er sich Sorgen, wie Hambrock auf sein Auftauchen reagieren würde.
»Fabio? Was um Gottes Willen machst du denn hier?«
»Ich … ich wusste nicht, wo ich sonst hin sollte.« Schuldbewusst fügte er hinzu: »Ihre Adresse stand im Telefonbuch. Ich dachte … vielleicht, wenn Sie da sind …«
»Ist denn was passiert?«, fragte Hambrock.
»Ich kann nicht bei meiner Oma bleiben. Es geht nicht. Ich halt’s da nicht länger aus.«
Hambrock zögerte. Er ließ seinen Blick die Straße hinabgleiten. Keine Menschenseele war unterwegs. Der kalte Wind trieb eine einsame Plastiktüte vor sich her.
»Komm erst mal mit nach oben«, sagte er und schloss die Tür auf. »Dann sehen wir weiter.«
Hambrock führte ihn hinauf in die Wohnung. In seinem Wohnzimmer schaltete er die Stehlampe ein. Der Raum wurde in ein sanftes Licht getaucht. Es war ein bisschen unordentlich, Zeitschriften und CD-Hüllen lagen herum. Dennoch wirkte der Raum sehr gemütlich, Erlend hatte ein gutes Händchen für Einrichtung. Hambrock fragte sich, wie die Wohnung auf Fabio wirken mochte. In der verdreckten Behausung seiner Eltern hatte es anders ausgesehen.
»Setz dich doch«, sagte Hambrock und räumte eine Zeitschrift beiseite. »Du musst ganz durchgefroren sein.«
Fabio trat näher. Seine Befangenheit schien sich langsam zu verflüchtigen. »So kalt war es draußen gar nicht«, sagte er leichthin, obwohl seine Hände vor Kälte blau angelaufen waren. Er ließ sich auf die Couch sinken.
»Möchtest du was trinken?«, fragte Hambrock.
»Gerne. Haben Sie ein Bier?«
»Ja, für mich schon. Für dich habe ich Cola.«
Hambrock ging in die Küche und holte eine Bierflasche und ein Glas Cola. Damit kehrte er zurück, setzte sich zu Fabio, und sie stießen an.
»So, jetzt erzähl mal«, sagte Hambrock. »Was ist passiert? Hattest du Streit mit deiner Oma?«
»Wir haben ständig Streit. Aber das ist es nicht. Ich … ich hab’s da einfach nicht mehr ausgehalten.«
»Von jetzt auf gleich? Ohne besonderen Anlass?«
»Da war heute schon wieder so ein Typ. Ein fieser, alter Sack mit fettigen Haaren und schimmeligen Zähnen. Meine Oma bringt ständig diese Typen mit nach Hause. Ich …« Er stockte. »Die sollen das machen, wenn ich nicht da bin. Ich will das nicht ständig mitbekommen.«
»Wie alt ist deine Oma eigentlich?«, fragte Hambrock erstaunt.
»Die ist uralt! Zweiundfünfzig. Oder dreiundfünfzig. Und diese Typen sind genauso alt. Der Letzte ist immer nackt durch die Wohnung gelaufen. So ein alter hässlicher Fettsack. Ich find das voll eklig. Aber denen ist das egal, ob ich da bin oder nicht. Und dann sind die immer so laut.«
Offenbar hatten frühe Schwangerschaften in der Familie Tradition, ging es Hambrock durch den Kopf. Er stellte sich gelegentlich vor, einen Sohn in Fabios Alter zu haben. An einen Enkel in dem Alter hatte er allerdings noch
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