Landgericht
nicht gedacht.
Fabio hockte mit düsterem Gesicht da. Für einen ohnehin haltlosen Jungen musste es verstörend sein, in so einer Umgebung zu leben.
»Soll ich mal mit deiner Oma reden?«, fragte er.
»Das bringt doch nichts. Die hat gesagt: Es steht dir frei zu gehen, wenn es dir hier nicht gefällt. Verstehen Sie? Die hat eh keinen Bock auf mich.«
»Aber so geht das nicht. Das wollen wir doch erst mal sehen, ob sich da nicht was regeln lässt.«
Fabio starrte schweigend in sein Glas. Er war offensichtlich nicht davon überzeugt, dass es irgendwelche Möglichkeiten gab, etwas zu regeln.
Hambrock betrachtete ihn. Er dachte an den Prozess im Landgericht. Fabio hätte wahrlich bessere Gründe für eine spontane Gewalttat gehabt als die Angeklagten, die allesamt aus guten Familien stammten. Dennoch konnte er sich nicht vorstellen, dass Fabio jemals zu so einer Tat fähig wäre.
»Heute Nacht bleibst du erst einmal hier«, sagte Hambrock. »Wir haben ein Bett im Gästezimmer. Und morgen sehen wir weiter.«
»Ehrlich?« Fabios Augen weiteten sich. »Macht Ihnen das denn keine Umstände?«
»Ach was. Und es ist ja auch nur für eine Nacht. Du bleibst hier. Morgen überlegen wir uns was.«
»Danke. Vielen Dank. Das weiß ich wirklich zu schätzen.«
»Ach, Unsinn. Das ist doch selbstverständlich.«
Fabio wirkte erleichtert. Dann nahm er einen großen Schluck Cola. Er schien über etwas nachzudenken.
»Was ist eigentlich mit Lennard? Haben Sie mit meinem Kumpel gesprochen? Hat Ihnen das bei Ihrem Fall geholfen?«
»Nein. Das war nicht wichtig für den Fall. Es gab eine ganz einfache Erklärung dafür. Das war nur Zufall.«
»Ach so.« Er wirkte enttäuscht. »Schade. Ich hätte gerne geholfen.«
»Und dafür danke ich dir. Aber der Fall ist eindeutig. Die drei Jungs waren angetrunken und wollten ihren Frust ablassen. Dummerweise kam Marius Baar ihnen in die Quere. Und damit ist die ganze Geschichte erzählt.«
Hambrock stand auf und reckte sich. Dann ging er ins Arbeitszimmer und bezog das Gästebett. Er zeigte Fabio, wo er Bad und Küche fand, und wünschte ihm schließlich eine gute Nacht.
Zurück im Wohnzimmer öffnete er die Balkontür, um durchzulüften. Er trat in die kalte Nachtluft hinaus. Die Straße war wie ausgestorben, keine Menschenseele unterwegs. Er fragte sich, ob damit tatsächlich die ganze Geschichte erzählt war. Zwar glaubte er nicht daran, dass Roland Baar in der Dunkelheit neben den Gleisen gelauert hatte. Trotzdem schloss er die Möglichkeit, dass ein unbekannter Dritter am Tatort gewesen sein könnte, nicht mehr völlig aus. Die Wahrscheinlichkeit war gering. Doch das Auftauchen der neuen Indizien hatte seine Gewissheit ins Wanken gebracht.
Es gab immer noch die Möglichkeit, dass jemand den Zug verlassen hatte, ohne von den anderen Fahrgästen bemerkt worden zu sein. Ein weiterer Zeuge. Unter Umständen sogar der Täter. Hambrock zog in Erwägung, morgen ins Präsidium zu fahren und einen Blick in die Zeugenbefragungen zu werfen. Vielleicht war da ja doch etwas, das ihre bisherige Gewissheit in Zweifel zöge.
Ein kalter Wind kam auf, und erste Regentropfen fielen. Hambrock trat eilig ins Wohnzimmer und schloss die Balkontür. Er hatte einen Entschluss gefasst. Er würde sich noch einmal die Befragungen der Fahrgäste im Zug ansehen. Und danach würde er den Fall endgültig ruhen lassen.
15
Am nächsten Abend saß Marius wieder im Großraumabteil und wartete darauf, dass der Zug abfuhr. Den Mercedes hatte er in Nathalies Straße stehen lassen. Sie hatten am Aasee in der Sonne gesessen und ein paar Biere getrunken, deshalb wollte er lieber den Zug nehmen. Nathalie war zwar der Meinung gewesen, es wäre das Beste, noch eine weitere Nacht bei ihr zu bleiben. Doch das wollte er nicht. Er wollte nach Hause und mit Roland sprechen.
Wer sonst sollte hinter der Sache mit dem toten Vogel stecken, wenn nicht sein Bruder? Nathalie und Mikey hatten zwar noch andere in Verdacht, aber Marius hielt alle diese Verdächtigungen für Unsinn. Egal, wen sie als möglichen Täter ins Visier nahmen, die Motive wirkten an den Haaren herbeigezogen. Genauso wenig glaubte er daran, dass es ein dummer Scherz von ein paar Kindern aus der Nachbarschaft war, die eine tote Taube auf der Straße gefunden hatten. Nein, Roland steckte dahinter, davon war er überzeugt.
Nathalie und Mikey hatte er vorerst nichts von seinem Verdacht erzählt. Marius schämte sich für seinen Bruder, deshalb hatte er
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