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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
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Freizeit zu genießen. Der Küchenschrank musste weiter auf seine Reparatur warten.
    Stattdessen saß Hambrock in seinem Auto und beobachtete die Straße. In dem ruhigen Münsteraner Wohnviertel war kaum ein Mensch unterwegs. Den Rückspiegel hatte er so eingestellt, dass er den Bürgersteig einsehen konnte. Es sollte wie eine zufällige Begegnung aussehen. Auch wenn Nathalie Brüggenthies ihm wohl kaum abnehmen würde, dass er ganz zufällig ausgerechnet in dem Moment in ihrer Straße auftauchte, in dem sie vom Einkaufen nach Hause kam. Aber Hauptsache, er wahrte den Schein. Das war immer noch besser, als wenn er ganz offiziell bei ihr klingelte und auf der Wohnzimmercouch Platz nähme.
    Es dauerte nicht lange, und Nathalie tauchte im Rückspiegel auf. Sie trug eine prall gefüllte Einkaufstasche und zog den Haustürschlüssel aus der Manteltasche. Hambrock stieg aus dem Wagen und reckte sich. Dann warf er die Tür zu und schloss ab. Dabei sah er nicht in ihre Richtung. Dennoch war es unmöglich, dass Nathalie ihn übersah. Und tatsächlich. Sie blieb auf dem Gehweg stehen, zog die Augenbrauen zusammen und trat auf ihn zu.
    »Guten Tag«, sagte sie. »Sie sind doch … Entschuldigung, jetzt habe ich Ihren Namen vergessen.«
    »Bernhard Hambrock.« Er tat ebenfalls überrascht.
    »Richtig, Herr Hambrock. Wohnen Sie auch hier im Viertel?«
    »Nein, ich besuche einen Freund. Er wohnt dort drüben in dem Klinkerbau. Leben Sie etwa hier?«
    Sie deutete auf das Mietshaus, vor dem sie standen.
    »Gleich hier. Im dritten Stock.«
    »Hübsches Haus«, sagte er. »Waren Sie heute eigentlich nicht im Gericht? Ich habe Sie nirgends gesehen.«
    »Nein, ich gehe da nicht mehr hin. Wozu auch? Es ist vorbei. Ich will meinen Frieden machen mit der ganzen Sache. Mir ist klar geworden, bei der Verhandlung kommt nur alles noch einmal hoch. Das ist zu schmerzhaft für mich.«
    »Ich verstehe. Lange dauert es ja auch nicht mehr. Morgen werden die Schlussplädoyers gehalten, und danach folgt der Urteilsspruch.«
    »Glauben Sie, diese Typen werden angemessen bestraft, Herr Hambrock? Ich meine damit, dass sie ins Gefängnis kommen, und zwar möglichst lange. In der Zeitung liest man ständig was von intakten Familienverhältnissen und guten Zukunftsaussichten und Resozialisierung. Als würde Marius noch leben.«
    »Ich weiß nicht, wie die Strafen ausfallen werden. Das lässt sich schwer sagen. Der Haupttäter wird in jedem Fall ins Gefängnis kommen.«
    Sie seufzte und blickte zu ihrem Mietshaus hinüber.
    »Die Nebenkläger wollen in ihrem Plädoyer beweisen, dass eine Tötungsabsicht vorlag«, fuhr Hambrock fort, um sie nicht fortzulassen. »Wenn das Gericht dieser Sichtweise folgt, werden alle drei lange Haftstrafen bekommen. Die Familie Baar zahlt viel Geld für diese Anwälte.« Er zögerte. »Stehen Sie mit der Familie in Kontakt?«
    »Nein. Ich glaube auch nicht, dass die einen Kontakt wünschen.« Sie senkte den Blick. »Es ist nicht wichtig für mich. Ich kann auch ohne die Familie Baar um Marius trauern.«
    »Wie war das eigentlich damals? Sicher hat Marius Sie mal seiner Familie vorgestellt. Gab es da auch schon diese Distanz?«
    »Marius hat mich denen nicht vorgestellt. Wir waren ja auch gar nicht so lange zusammen. Seine Familie … es war kompliziert.«
    »Aber heißt das, er wollte Sie gar nicht seinen Eltern vorstellen?«
    »Seine Eltern hatten offenbar sehr enge Vorstellungen davon, was eine geeignete Freundin für ihn ist. Als ich zu seiner Beerdigung gegangen bin, habe ich zum ersten Mal seine Mutter getroffen. Sie ahnte offenbar, wer ich bin. Hat mich von oben bis unten gemustert. Wer sind Sie?, hat sie gefragt. Und als ich ihr sagte, ich bin die Freundin von Marius, da sagte sie: Gehen Sie. Dies ist eine Familienfeier. Sie sind hier nicht erwünscht. Und dann ist sie ohne ein weiteres Wort verschwunden. Das war mein erster und einziger Kontakt mit der Familie Baar.«
    »Entschuldigen Sie, dass ich gefragt habe. Heißt das denn, dass Sie Marius’ Geschwister auch nicht kennengelernt haben?«
    »Ganz genau. Marius hat gesagt, die würden mich nicht mögen. Er war sich ganz sicher. Deshalb hatte ich kein Interesse, sie kennenzulernen.«
    »Was meinte er denn damit, die würden Sie nicht mögen? Das weiß man doch erst, wenn man sich mal beschnuppert hat.«
    »Seine Schwester ist wohl sehr versnobt. Und seine beiden Brüder wollten nichts von ihm wissen. Ob Marius eine Freundin hatte oder nicht, das war ihnen völlig

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