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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
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hochgezogenen Schultern an ihm vorbei. Unter einem Baugerüst saß ein junger Obdachloser mit einer Flasche Bier in der Hand. Das Marihuana, das er rauchte, war weithin zu riechen. Offenbar hatte er sich die Ecke als Schlafplatz auserkoren, denn neben ihm lagen Zeitungen und ein zusammengerollter Schlafsack. Hambrock wollte sich bereits abwenden, als er den jungen Mann erkannte, der dort hockte. Es war Fabio.
    Hambrock ging auf ihn zu. Als Fabio ihn bemerkte, warf er eilig den Joint weg. Er machte Augen wie ein Schuljunge, der beim Schummeln erwischt wurde.
    »Fabio? Was machst du denn hier? Willst du hier etwa schlafen?« Hambrock spürte Ärger in sich aufsteigen. »Was soll das eigentlich? Wo warst du überhaupt in den letzten Tagen? Bei deiner Oma jedenfalls nicht. Und in dem Verweigererprojekt hat dich auch keiner mehr gesehen.«
    Fabio sah schuldbewusst zu Boden. Da war ein großer Bluterguss an seiner Stirn. Er sah aus, als wäre er in eine Schlägerei geraten.
    »Was denkst du dir nur dabei? Wo soll das hinführen? Willst du ein Penner werden oder was?«
    »Ich … nein, das will ich nicht.«
    »Wo hast du in den letzten Tagen geschlafen? Auf der Straße?«
    »Nein, hab ich nicht. Jedenfalls nicht nur.«
    »Und wo warst du dann? Wieso bist du überhaupt abgehauen?«
    Fabio schwieg. Hambrock ließ den Becher Crème fraîche in seine Manteltasche gleiten und packte Fabio am Arm.
    »Komm schon«, sagte er ruppig. »Du kommst mit zu mir. Und dann duschst du erst mal.«
    Er zog den Jungen hoch und stieß ihn den ganzen Weg bis zum Auto vor sich her. Als sie sich schließlich in die Sitze fallen ließen, waren sie beide klatschnass. Hambrock startete den Wagen.
    »Du kannst dich nicht so gehen lassen«, sagte er. »Du musst auf dich achtgeben, Fabio. Verstehst du? Wenn du nicht auf dich aufpasst, dann tut es keiner. So ist das nun mal.«
    Fabio schwieg. Er betrachtete die regennassen Straßen.
    »Heute Nacht bleibst du erst mal bei mir«, sagte Hambrock. »Und dann überlegen wir uns in Ruhe, wie’s weitergeht. Aber du musst dich zusammenreißen, verdammt.«
    »Hat Ihre Frau denn nichts dagegen, wenn ich bei Ihnen übernachte?«
    »Elli? Nein, natürlich nicht. Wie kommst du darauf?«
    Fabio warf ihm einen skeptischen Blick zu. Hambrock fragte sich, ob er etwas von dem Streit mitbekommen hatte. Erlend hatte in seiner Gegenwart kein kritisches Wort gesagt, aber Fabio schien dennoch zu wissen, was sie über ihn dachte.
    »Außerdem braucht dich das nicht zu kümmern«, schob er hinterher. »Du bist schließlich mein Gast und nicht der meiner Frau.«
    Fabio sagte nichts dazu, doch Hambrock hatte das Gefühl, dass ihm das Ganze Kopfzerbrechen bereitete.
    Als sie kurz darauf in die Wohnung traten und Erlend erkannte, wen er da im Schlepptau hatte, gefror ihr Lächeln ein wenig. Sie hatte sich aber gut genug unter Kontrolle, um auch dieses Mal nicht in Gegenwart von Fabio einen Streit anzufangen. Das würde sie sich für später aufheben, wenn sie alleine waren.
    Was geschah, als Fabio eine Viertelstunde später unter der Dusche stand.
    »Wo hast du den denn aufgelesen, Bernhard? Etwa am Bahnhof?«
    »Was hätte ich denn machen sollen? Einfach weitergehen? Der Junge hat Furchtbares erlebt. Er hat seine Eltern verloren. Und jetzt ist er ganz allein.«
    »Es ist nicht dein Job, dich um solche Jungen zu kümmern. Was soll denn als Nächstes passieren? Soll der hier einziehen? Damit du endlich das Kind …« Sie stockte.
    Damit du endlich das Kind bekommst, das du dir immer gewünscht hast, hatte sie sagen wollen. Hambrock spürte den Stich.
    »Tut mir leid, Bernhard.«
    »Es ist nur für heute Nacht«, sagte er. »Und eventuell für morgen Nacht. Versprochen. Danach ist er weg.«
    »Dann muss ich wohl aufpassen, dass kein Geld herumliegt und meine Kreditkarte sicher ist?«
    »So einer ist er nicht.«
    »Er ist ein vierzehnjähriger Straßenjunge, der offensichtlich Drogen nimmt. Das konnte man deutlich sehen.«
    »Elli, ich bitte dich. Du bist Holländerin. Er hat einen Joint geraucht. Meine Güte.«
    »Na gut. Du hast gewonnen. Ich muss morgen sehr früh raus, dann hast du Zeit, dich um ihn zu kümmern. Es gibt Kriseneinrichtungen für solche Jugendlichen. Die wissen wahrscheinlich besser als du, was zu tun ist.«
    »Er kann also bleiben?«
    »Natürlich. Macht euch einen schönen Abend. Ich werde nach dem Essen nach nebenan gehen und ein Buch lesen.«
    Hambrock zog seinen nassen Mantel aus. Er spürte einen Gegenstand in

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