Landgericht
der Tasche. Den Becher Crème fraîche. Vorsichtig stellte er ihn auf die Anrichte. Erlend hatte Spargel gekocht, den ersten dieser Saison.
»Das war’s dann wohl mit dem gemütlichen Abend«, stellte sie fest und verließ den Raum.
Nach dem Abendessen zog sie sich wie angekündigt ins Schlafzimmer zurück. Fabio blieb mit Hambrock allein im Wohnzimmer. Der Junge spürte offenbar die angespannte Atmosphäre. Es fiel ihm sichtbar schwer, sich zu entspannen. Hambrock hantierte an seiner Stereoanlage herum.
»Was für Musik magst du denn?«, fragte er und überblickte seine CD-Sammlung. »David Bowie? Oder vielleicht New Order? Wie wär’s mit Joe Jackson?«
»Keine Ahnung. Machen Sie einfach irgendwas.«
»Ich hab hier richtig guten alten Synthie Pop. Als das noch ganz revolutionär war und lange bevor Modern Talking auf der Welle mitgeschwommen ist.«
»Wer ist denn Modern Talking?«, fragte Fabio.
Hambrock sah ihn ungläubig an. Im Hintergrund die ersten Takte eines David-Bowie-Songs aus den späten Siebzigern.
»Das muss dir alles uralt vorkommen«, meinte Hambrock.
»Nee, ist cool. Echt.«
Hambrock lächelte, dann nahm er auf dem Sessel Platz. Eine Weile lauschten sie der Musik, bis Fabio fragte: »Denken Sie, es war jemand anderes?«
»Was meinst du?«
»Die Sache mit Lennard und den anderen. Der Mord an diesem Unternehmersohn. War das ein anderer, der ihn ermordet hat? Gar nicht die drei Angeklagten?«
»Gut möglich. Wir ermitteln noch. Wieso fragst du?«
»Vielleicht war es ja ein Nazi. Einer, der mit Lennard befreundet ist.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Keine Ahnung. Nur so eine Idee.«
»Nein, es war kein Nazi. Vielleicht jemand aus seiner Familie. Oder auch ein ganz anderer. Genauso gut kann es sein, dass es die drei Angeklagten waren, so wie von Anfang an vermutet. Hätte sich dieser Zeuge nicht gemeldet, dann wären die drei längst verurteilt.«
Sie fielen wieder in Schweigen. Hambrock lauschte der Musik und hing seinen Gedanken nach. Die Vorstellung, ein anderer hätte diesen Mord begangen, hatte für ihn etwas Tröstliches. Am Ergebnis änderte das natürlich wenig. Marius würde nicht wieder lebendig werden. Aber wenn sein Mörder ein handfestes Motiv hatte, wirkte das alles nicht so sinnlos. Es war diese Beliebigkeit mancher Verbrechen, die ihm mit zunehmendem Alter zusetzte. Früher war er da nicht so sensibel gewesen.
»Ihre Frau mag mich nicht, oder?«, fragte Fabio.
»Nein, das ist es nicht. Sie findet nur, ich arbeite zu viel.«
»Ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen.«
»Das tust du nicht, Fabio. Ich mache mir nur Sorgen um dich. Du sollst nicht so enden, mit einem Schlafsack am Bahnhof. Ich möchte dir ein bisschen helfen, bis du wieder alleine klarkommst. Das wird sie schon verstehen.«
»Sie sind sehr nett.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach was.«
Dann lehnte er sich in den Sessel zurück und lauschte der Musik. Da war ein Synthesizer-Solo, er wusste nicht einmal, zu welchem Stück das gehörte. Im Bewusstsein der heutigen Möglichkeiten elektronischer Musik wirkte es jedoch mehr als lahm. Beinahe schämte er sich ein bisschen.
»Die Musik ist tatsächlich sehr alt, fürchte ich.«
»Nein«, sagte Fabio und grinste breit. »Die ist cool, wirklich.«
Hambrock lachte. Für diese dreiste Lüge hätte er den Jungen am liebsten umarmt.
Als Hambrock am nächsten Morgen aufstand, war Erlend bereits fort. Er duschte ausgiebig, machte sich Kaffee und Eier und räumte anschließend die Küche auf. Als es Zeit wurde zu gehen, schlief Fabio immer noch. Hambrock brachte es nicht übers Herz, ihn zu wecken. Er wusste, Erlend würde nicht wollen, dass er ihn allein in der Wohnung zurückließ. Doch Hambrock vertraute dem Jungen. Er würde es darauf ankommen lassen. Also schrieb er eine kurze Notiz, legte sie auf den Küchentisch und machte sich auf den Weg.
Es war noch früh, der Berufsverkehr hatte noch nicht eingesetzt. Hambrock kam gut durch die Stadt. Er holte Keller aus dessen Wohnung im Südviertel ab, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg nach Gertenbeck. Klaus Baar erwartete sie um acht Uhr, er wollte das Gespräch offenbar hinter sich bringen, bevor er in die Firma fuhr. Pünktlich erreichten sie die Familienvilla der Baars, ein kühler weiß getünchter Bau aus den Siebzigerjahren. Als er die Klingel drückte, erklang ein tiefer Gong aus dem Innern des Hauses. Die Tür öffnete sich, und Nils Baar stand vor ihnen.
»Sie sind die
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