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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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jünger gewesen war, und Owen betrachte-
    te sie als ein Wesen, das über ihm stand, ihm voraus war,
    das sich gewandt in den Gefilden der Erleuchtung beweg-
    te. Im MIT-Dickicht von Fakten und Konzepten hatte er
    sich zuerst verloren gefühlt, aber seine Noten waren alle
    ordentlich und wurden besser, als er sich einfügte und sei-
    ne Interessen klarer absteckte. Er war groß, dünn damals,
    mit üppigem weichem Haar, dunkler als das feine braune
    seines Vaters, und er ließ es, in dieser streng gestutzten
    Zeit, achtlos länger wachsen. Wo so viele der erfolgreichen
    Studenten bebrillte asiatische Amerikaner und rundliche
    Juden waren, musste es Phyllis gefallen haben, dass Owen
    mit seinem kräftigen Knochenbau sie überragte; sie sahen
    gut aus, wenn sie nebeneinander gingen. Obwohl er in den
    Schulen in Pennsylvania nie an sportlichen Wettkämpfen
    interessiert gewesen war, hatte er eine nervöse Drahtig-
    keit, mit der er es in den verträumten Farmhausjahren zu
    einigen kleinen Geschicklichkeiten gebracht hatte – er
    konnte mit drei Tennisbällen jonglieren, über einen Be-
    senstiel hüpfen, den er mit beiden Händen vor sich hielt,
    auf Treppen mit Stahlkantenstufen harmlose gespielte
    Stürze vollführen, um Phyllis zu erschrecken und, wenn

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    sie sah, dass er unverletzt war, zum Lachen zu bringen. Er
    sah zu gern, wenn das Blut der Überraschung ihr blasses,
    dünnhäutiges Gesicht rötete. Mit seinen gespielten Un-
    glücksfällen parodierte er den sehr realen Wunsch, sich vor
    sie hinzuwerfen – der Clown, der Prätendent, der es wagte,
    vor die Prinzessin zu treten.
    Als der Winter den Studenten die Plätze draußen im
    Freien nahm, drängten sie sich nach den Vorlesungen und
    an den Abenden in den Imbisslokalen und Cafeterias und
    in billigen chinesischen und indischen Restaurants am
    Kendall Square – damals noch kein Hightech-Wunderland,
    sondern ein Überbleibsel der Kleinindustrie, dunkel von
    den Rußspuren eines Jahrhunderts – und an der Südseite
    des Central Square. Wenn die Türen aufschwangen, ließen
    sie scharfe Ströme von schneegesprenkelter Luft mit den
    Neuankömmlingen herein; Spiegel liefen feucht an, wenn
    die Wärme der dicht gedrängten Leiber sich mit den kal-
    ten Wänden berührte. An einem Tisch mit Kunststoffplat-
    tc, eingekeilt zwischen drei oder vier anderen von Phyllis̕
    Clique – Anne-Marie Morand aus Montreal, Amy Toong
    aus Boston, Jake Lowenthal aus Flatbush, Bobby Sprock
    aus Chicopee –, bewunderte Owen, wie sie zuhörte, selber
    wenig sagte, nur Zigaretten zwischen ihre blassen, tauben
    Lippen steckte und den Rauch in ihre schmutzig blonden
    Ponyfransen blies. Sie hatte die Anziehungskraft derer,
    die keine Anstrengung unternehmen, um zu leuchten; sie
    hielt sie alle zusammen, viele Akteure, die vor einem Pu-
    blikum spielten, das aus einer Person bestand. Der laute,
    schnell sprechende Jake spottete über die ersten digitalen
    Computer: Mark I in Harvard, ENIAC unten in Philadel-
    phia, Whirlwind in den Lincoln Laboratories, nur wenige
    Straßen von der Stelle entfernt, wo sie saßen. «Berge, die

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    nicht einmal eine Maus gebären», rief er. «Tausende von
    Schaltern, Kartons über Kartons mit Lochkarten, Meilen
    von Kabeln, Tonnen von Hardware, und all das, um zu be-
    werkstelligen, was ein Rechenschieber und ein halbes Ge-
    hirn in dreißig Sekunden erledigen können.»
    «Jake, das glaubst du doch selbst nicht», sagte Phyllis
    zu ihm, so ausgeglichen und leise, dass Owen einen eifer-
    süchtigen Stich verspürte: Hier gab es eine fest etablierte
    Verbindung.
    «Warum soll ich das nicht glauben? He, Phyl, warum soll
    ich nicht? Zu der Zeit, als ENIAC gebaut wurde, war der
    Krieg vorbei, und die Army hatte keine Verwendung da-
    für. Es war ein dreißig Tonnen schweres Ungetüm. Man
    braucht zweihundert Kilowatt, um ihn laufen zu lassen,
    und er schluckt Strom, selbst wenn er gar nicht läuft, allein
    das Kühlen der Röhren kostet ein Vermögen – und davon
    hat er achtzehntausend. Achtzehntausend Röhren. Ganz
    ab
    e
    ges hen von zehntausend Kondensatoren

    und sechstau-
    send Schaltern.»
    «Ja, und er führt Rechnungen durch, für die man tau-
    send Leute brauchte, wenn sie es schriftlich machen», sag-
    te Amy Toong und warf einen schnellen Blick zur Seite,
    um sich zu vergewissern, dass Phyllis, an die Jake sich ge-
    wendet hatte, nicht antwortete.
    «Du redest von überholtem Zeug», sagte Bobby Sprock
    zu Jake. «Vakuumröhren werden

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