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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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nervig.
    «Du bist zu sehr aufs Praktische aus», sagte sie zu ihm.
    «Mr. Klein möchte, dass wir darüber nachdenken, wie wir
    denken. Unser so genanntes Denken ist unordentlich, mit
    vielen kleinen Determinierungen, die mehr oder weniger
    gleichzeitig wirken. Maschinen dagegen haben keine Intui-

    109
    tion, keinen Berg von Erfahrungen hinter sich. Normale
    menschliche Unlogik funktioniert bei ihnen nicht. Für Ma-
    schinen ist nur das offensichtlich, was ihnen absolut deut-
    lich gemacht wird.»
    «Sie können nur tun, was wir ihnen zu verstehen befeh-
    len, wie Lady Lovelace sagt.» Er ahmte Klein nach, diese
    seidige Verkörperung von Intelligenz, der mit einem nach
    innen gezogenen Vibrieren sprach, als kränke jedes lau-
    te Wort sein zartes Gehirn. «War sie nicht erstaunlich, für
    eine Frau damals?», fügte Owen lahm hinzu; er versuchte
    in dem Korridor mit ihr Schritt zu halten, wich seitwärts
    aus, wurde angerempelt, während Phyllis schwebend an
    seiner Seite ging. «Sie war vielleicht eine Nummer», sagte
    er dann, ein Witz, der möglicherweise den Flirtgeschmack
    in seinem Mund verdünnen sollte, denn indem er Ada
    Lovelace, Lord Byrons Tochter, die Charles Babbage zur
    Hand ging, im Zusammenhang mit der Erfindung der ana-
    lytischen Maschine, zur Sprache brachte, hatte er gehofft,
    dieser an eren
    d
    mathematisch eingestellten
    eib
    w
    lichen
    Person zu schmeicheln.
    «Das war sie», war Phyllis’ nüchterne Antwort. Sie drif-
    tete schon davon, es war ihm nicht gelungen, sie für sich
    einzunehmen. Inzwischen waren sie in dem nummerier-
    ten Labyrinth bei Raum 7 angelangt, der Eingangshalle
    mit den zehn Säulen, von der rechtwinklig Wege abzweig-
    ten. Als sie sah, dass sich ihre Wege trennten, und sich klar
    machte, dass dieser Fremde sich bemüht hatte, schlug sie
    einen lebhafteren Ton an: «Hat es dir nicht gefallen, wie er
    heute das Diagramm für Schlussfolgerungen gezeichnet hat?
    All diese ‹eleganten› Formeln für etwas, das so offensicht-
    lich ist, dass wir alle es wissen, ohne darüber nachzuden-
    ken?»

    110
    Er durfte sie nicht verlieren, er musste sich zu ihr er-
    heben, mit irgendeiner Provokation, etwas, das zu einer
    nä
    t
    chs en Begegnung führen würde. «Bist du nicht aufs
    Praktische bedacht?», fragte er.
    Die beiden standen reglos in dem Strom eingemummter,
    pickliger, lärmender Gestalten, die zu ihrem nächsten Kurs
    hasteten. «Ich glaube nicht», sagte sie mit ihrer sanften,
    verklingenden Stimme. «Ich mag das, was rein und nutzlos
    ist.» Sie zuckte die Schultern, leichthin, wie um sich für
    ihre ganze Person, die ganze Länge ihres blassen, rosa ge-
    tönten, scheu getragenen Körpers zu entschuldigen.
    «Das ist schön von dir», sagte er. Es war ihm einfach so
    herausgerutscht, ein zu grobes Kompliment – er sah sie
    zusammenzucken. Owen beeilte sich, den Schaden einzu-
    dämmen: «Hör zu. Lass uns mal einen Kaffee zusammen
    trinken – hättest du Lust?»
    Er sah, in dem verstärkten Licht des überkuppelten
    Raums, dass er ihre Bürden noch vermehrte – sie wehrte
    schon viele Verehrer ab, viele potenzielle Kaffeepartner. Er
    versuchte es wieder mit einem Witz, den er der gerade ge-
    hörten Vorlesung entnahm, wo es um die Turingmaschine
    gegangen war. «Das ist keine Wenn-dann-Konstruktion»,
    versicherte er Phyllis. «Es gibt keine notwendigen Konse-
    quenzen. Eher ein n plus eins. Du bist n , n für ‹weiß alles›, und ich bin eins, was so viel heißt wie ‹Simpel›. Ich bin
    einfach ein Landei mit einem Stipendium und bin ganz
    versessen darauf, dich –» – er bediente sich eines weiteren
    Begriffs aus der Vorlesung, aus Kleins abschließenden Be-
    merkungen – «nach ‹primitiv-rekursiven Funktionen‹ zu
    fragen.»
    «Darum wird sich alles drehen, um primitiv-rekursive
    Funktionen», prophezeite sie und wandte sich ab, nach-

    111
    dem sie einen flüchtigen Blick nach oben auf die Uhr ge-
    worfen hatte. Es gab, wie er lernen sollte, einen charakte-
    ristischen Blick, eine bedauernde Fröhlichkeit im Moment
    der Trennung, den sie ihm über die Schulter zuwarf; nie
    war sie reizender, nie war ihr Lächeln zärtlicher, als wenn
    sie Lebewohl sagte. «Und ich e
    w iß nicht

    alles»,

    sagte sie
    noch und ließ seine direkte Frage unbeantwortet.
    Aber als der Winter sich über die Universität legte, traf
    sie sich mit ihm zum Kaffee und dann zu mehr. Warum?
    Was mochte sie an ihm? Sie war ein Jahr älter als er, so wie
    Elsie ein Jahr

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