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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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blieb seine Großmutter, von der Parkinson’schen
    Krankheit gelähmt, immer öfter oben im Bett; wenn er sie
    besuchte, streckte sie ihm ihre krallenartigen blauen Hän-

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    de entgegen und sagte: «Auf, auf.» Grammy war immer
    aktiv gewesen und wollte auch jetzt nicht aufhören, sich
    zu bewegen. Bereitwillig zog Owen sie hoch und ließ sie
    dann wieder hinunter, sodass sich ihr Kopf mit dem wil-
    den, ausgedünnten weißen Haar auf das Kissen senkte,
    und zog sie wieder hoch, bis er ungeduldig erlahmte. Un-
    ten saß sein Großvater stundenlang in einer Ecke des alten
    Sofas mit der aus Rohr geflochtenen Rückenlehne und las
    in der Bibel. Wenn draußen auf der einsamen Straße ein
    Auto vorbeifuhr, hob er wie schnuppernd den Kopf, in der
    Hoffnung, dass es der Postbote war, der ihm nie irgend-
    welche Post brachte, nur die Altoner Morgenzeitung, de-
    ren Nachrichten bereits veraltet waren, und Mitteilungen
    von der Freimaurerloge in Willow, der er in seiner Blütezeit
    angehört hatte, als er neu in der Stadt und ein wichtiger In-
    vestor im Ort gewesen war. Im vergangenen Sommer hatte
    seine Tochter ihn an einem Samstag zur Beerdigung seines
    letzten alten Freundes aus den Zeiten des Wohlstands nach
    Willow gefahren; beide, Vater und Tochter, hatten bei ihrer
    Rückkehr Tränen in den Augen, was Owen mit Verwun-
    derung wahrnahm – juwelenartige Trophäen aus der Welt
    «des Aufzubewahrenden», wo Pistolenschüsse hallten und
    Pferde in Panik zurück in ihren brennenden Stall liefen und
    das zweite Gesetz der T
    y
    hermod namik alle Umkehrungen
    zu einem Zustand von geringerer Unordnung unterband.
    Wieder in Cambridge, nun im zweiten Studienjahr, fühl-
    te er sich weniger eingeengt – er kannte sich jetzt aus. Im
    September wagte er sich über den Fluss, um die Braves
    gegen die Phillies spielen zu sehen; er war auf der Seite
    der Phillies, behielt das aber für sich in der hemdsärme-
    ligen Menge, deren dürftige Zahl schon den Wechsel des
    Unternehmens binnen eines Jahres nach Milwaukee an-

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    kündigte. Die symmetrischen Ligen seiner Jugend, mit je-
    weils acht Vereinen, die er für ähnlich unverrückbar gehal-
    ten hatte wie die Zehn Gebote, fingen an, sich kreuz und
    quer durchs Land zu bewegen. An einem Freitagabend
    im November nahmen er und ein Rudel von fünf anderen
    künftigen Ingenieuren die Subway bis Kendall, gingen die
    Cambridge Street rauf zum Old Howard am Scollay Square,
    das es auch bald nicht mehr geben sollte. Vor einem etwas
    zynischen, rein männlichen Publikum, Matrosen und Ar-
    beitern und College-Studenten, lief eine glitzernde Frau
    mit einer Hochfrisur von unwahrscheinlichem Zimtrot in
    immer weniger Kleidern auf und ab, bis sie schließlich auf
    einer samtbezogenen Chaiselongue landete und die Beine
    in die Luft stieß – eine hinreichende Pantomime eines Or-
    gasmus, bei der im Orchestergraben die Trommeln dröhn-
    ten. Unter der grellen Bühnenbeleuchtung absolvierten
    abgenutzte, halb belustigte Frauen Routinenummern, die
    Owen keineswegs langweilig vorkamen; mit Federboas, in
    außergewöhnlichen Ballkleidern, in Wespentaillenkorsetts
    und mit getuschten Strumpfbändern und Satinschühchen
    mit hohen Absätzen, hatten diese Frauen das reine Leben
    von Träumen, Träumen, die aus den Tiefen des eigenen
    Ichs emporstiegen, phantastische Zurschaustellungen des-
    sen, was am Ende am wahrsten war.
    Zartgefühl und Witz, charakteristisch für Neuengland,
    lockerten auf, was in Pennsylvania, in den Bordellen und
    Spelunken der Industriestädte, eine trübe, talgige, etwas
    ranzige Schwere hatte. Hier oben, wo die Puritaner in wei-
    ßen Kirchtürmen und einer adretten Backsteinarchitek-
    tur ihre Spuren hinterlassen hatten, wurde Sex trickreich
    verkleidet, wenn nicht völlig verbannt. Bostons hoch ent-
    wickelte bürgerliche Moral schrieb gewisse Grenzen der

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    Bekleidung vor. Pasties auf den Brustwarzen, die Scham
    bedeckende Strings, blockhohe Absätze, Diademe, grell
    geschminkte Gesichter – all dies milderte die schlichte,
    schimmernde Nacktheit, die Elsie ihm in ihrer Unschuld
    eines Abends angeboten hatte. Nacktheit, so schien Neu-
    england zu sagen, war etwas zu Ernstes, zu Verletzliches, als
    dass sie als Ware gehandelt werden durfte; nur Göttinnen
    in Marmor oder Mutter Eva durften sie in mäßigen Kupfer-
    stichen zur Schau stellen. Im Untergrund gab es Männer-
    filme, die in Verbindungshäusern unter halb beklomme-
    nem Hohngelächter vorgeführt

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